Die Architektur-Fotografie hat viele Facetten – von klassisch-geradlinig bis schräg-dynamisch, von dokumentarisch bis abstrakt. In diesem Artikel zeigen wir Dir, wie sich Architekturfotografie thematisch strukturieren lässt, wie man Architekturmotive gestaltet und welche Techniken dabei hilfreich sind.
Dieser Artikel stammt aus dem ColorFoto-Magazin 05-2017.
Architekturfotografie: die Standortfrage
Laut Wikipedia bezeichnet Perspektive „die räumlichen, insbesondere linearen Verhältnisse von Objekten im Raum: das Abstandsverhältnis von Objekten im Raum in Bezug auf den Standort des Betrachters. Damit ist die Perspektive stets an den Ort des Betrachters gebunden und kann nur durchVeränderung der Orte der Objekte und des Betrachters im Raum verändert werden.“ (Wikipedia)
Für die Architekturfotografie heißt das: Weil sich ein Bauwerk nicht bewegen lässt – nicht umsonst spricht man von „Immobilie“ (lat. immobilis = unbeweglich) –, kann die Perspektive nur durch Verlagern des Kamerastandpunkts verändert werden und nicht durch Variieren des Bildausschnitts, weder durch Zoomen noch durch nachträglichen Beschnitt.
Die Frage nach dem richtigen Standort und der daraus resultierenden Perspektive steht im Zentrum der Architekturfotografie. In der klassischen Architekturfotografie ist der ideale Standort dann gegeben, wenn man ein Gebäude mit exakt gerade ausgerichteter Kamera und damit frei von jeglicher Verzerrung abbilden kann.
Eine vertikale oder horizontale Gebäudekante soll parallel zur Bildfeldbegrenzung abgebildet werden. Muss die Kamera nach oben geschwenkt werden, kippt das Gebäude scheinbar nach hinten – man spricht dann von „stürzenden Linien“, die sich nur mit technischen Tricks wie einem Shift-Objektiv bzw. nachträglicher Bildbearbeitung beseitigen lassen.
Das Bildbeispiel des Hotelgebäudes in New York zeigt aber auch, dass stürzende Linien die Bilddynamik erhöhen können – das Gebäude wirkt dadurch mächtiger.
Perspektivkorrektur
Zur Perspektivkorrektur direkt bei der Aufnahme verwendet man Shift-Objektive mit verschiebbarem Linsensystem. Bild 1 wurde ohne Shift (2), Bild 3 mit Shift (4, Canon TS-E 24mm) fotografiert. Hat man kein Shift-Objektiv zur Hand oder reicht dessen Verstellweg nicht aus, hilft das Entzerren in Photoshop/Elements (Transformieren – Verzerren oder Perspektivisch).
Wenn nachträglich entzerrt werden soll: Genug Raum um das Hauptmotiv lassen, weil der Bildausschnitt beim Entzerren enger wird und Bildinformation in den Randbereichen auf der Strecke bleibt.
Kommentar von Karl Stechl
Man kann darüber diskutieren, ob und inwieweit Bildbearbeitung die Authentizität von Fotos untergräbt. Bei Architekturaufnahmen sind Photoshop & Co. jedenfalls ein Segen. Früher benötigte man eine schwere Fachkamera und deren Verstellmöglichkeiten, um trotz einer nach oben geschwenkten Kamera Bilder ohne stürzende Linien zu produzieren. Heute kann man das nach der Aufnahme mit Programmen wie Photoshop mit wenigen Handgriffen erledigen. Auch die Möglichkeiten eines Shift-Objektivs lassen sich damit erweitern.
Architekturfotografie: Lichtspiele
Neben der Perspektive entscheidet das vorhandene Licht über die Wirkung eines Architekturmotivs. Frontallicht beleuchtet Gebäude gleichmäßig, was etwa bei Glasfronten oder farbigen Fassaden vorteilhaft sein kann. Seitenlicht dagegen arbeitet Formen und Oberfächenstrukturen heraus.
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Für gute Architekturfotos braucht man Zeit, um ein Bauwerk zu verschiedenen Tageszeiten, in unterschiedlichen Lichtsituationen zu studieren und die besten Seiten zu entdecken. In Häuserschluchten treten oft extreme Hell-Dunkel-Kontraste auf, die die Dynamik mancher Kameras überfordern. Verwende den zuschaltbaren Kontrastausgleich, wenn vorhanden. Am besten, fotografiere im RAW-Modus, um bei der Nachbearbeitung Tiefen und Lichter optimal herausarbeiten zu können.
Moderne Architektur nutzt Licht als Gestaltungsmittel raffiniert und effektvoll, etwa durch Glasfassaden, die Sonne und Himmel in allen Schattierungen reflektieren. Zudem sind viele Gebäude künstlich beleuchtet. Deshalb nach den Tageslichtaufnahmen eine zweite Fotoschicht zur blauen Stunde und eine dritte für Nachaufnahmen einplanen.
Mischlichtsituationen wird man am besten gerecht, wenn man im Modus RAW+JPEG fotografiert. Stelle den Weißabgleich für JPEGs aus der Kamera auf Automatik und justiere die Farbabstimmung beim Ausarbeiten der RAW-Bilder nach Deinem Geschmack. Die JPEGs aus der Kamera dienen dabei als Vergleich und Messlatte.
Architekturfotografie: Innenräume
Innenräume gibt es in allen Dimensionen von der Besenkammer bis zur Festhalle. Und wie bei jeder Art von Architekturfotografie geht es auch hier darum, die Formsprache des Architekten zu unterstreichen, zu interpretieren oder zu abstrahieren. Dabei spielen auch Raumbeziehungen eine Rolle, die durch Sichtöffnungen wie Fenster, Türen oder offene Übergänge entstehen. Treppenhäuser finden sich als Schlüsselmotive in Kunstwerken (zum Beispiel bei M.C. Escher) oder in Filmen (zum Beispiel von Alfred Hitchcock). Auch für Fotografen ist es eine Herausforderung, Raumbeziehungen zu visualisieren.
Wichtigste Optik für Innenaufnahmen ist ein Weitwinkelobjektiv: 24 mm KB-Äquivalent sollten es auf jeden Fall sein, noch kürzere Brennweiten sind willkommen.
Festbrennweiten haben einerseits den Vorteil, dass sie wenig bis gar nicht verzeichnen, auf der anderen Seite ermöglicht ein Weitwinkelzoom aber mehr Spielraum, was die Wahl der Kameraposition anbelangt.
Fotografiere, wann immer möglich, vom Stativ – dabei Bildstabilisator deaktivieren – oder lege die Kamera an einer geeigneten Stelle auf, um die Gefahr von Verwacklungen zu minimieren.
Vermeide nach Möglichkeit hohe ISO-Einstellungen mit Werten über 800/1600, um sichtbare Texturverluste und störendes Rauschen – vor allem in Schattenbereichen – zu vermeiden.
Vorhandenes Licht, das den Raum durch Fenster, Oberlichter oder Glaskuppeln mitgestaltet, ist von entscheidender Bedeutung – aber auch die künstliche Beleuchtung, die bei moderner Architektur meistens Bestandteil des Raumkonzepts ist. Der Einsatz von Blitzlicht kann dann sinnvoll sein, wenn ein markantes Objekt im Vordergrund dezent aufgehellt werden soll.
Architekturfotografie: Ansichtssache
Fotografiere Architekturmotive so, wie sie selten zu sehen sind!
Ein gutes Beispiel ist Siegfried Laydas Foto des Metro-Umsteigebahnhofs am New Yorker World Trade Center: Mit der spiegelnden Glasfassade ließ sich die Sicht auf einen Baukran verdecken und durch die Spiegelung ein völlig neues Bild schaffen, das die Atmosphäre dieses Ortes optimal widerspiegelt.
Abgesehen davon folgt das Bild den Regeln klassischer Architekturfotografie: Zentralperspektive, Kamera exakt „im Wasser“.
Mit gekippter Kamera kannst Du einem Architekturmotiv dynamische Ansichten abgewinnen. Überlege aber genau, welche Wirkung Du erzielen willst. Es ist nämlich ein Unterschied, ob Du die Kamera nur in einer Ebene verschwenken (nach oben kippen) oder sie dabei gleichzeitig verkanten. Sollte die Verzerrung allzu beliebig wirken, richte eine markante Motivlinie parallel zur Bildfeldbegrenzung aus – das gibt dem Auge Halt.
Ein weiterer hilfreicher Gestaltungstrick sind konvergierende Linien mit einem gemeinsamen Fluchtpunkt. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch, wie das Architekturmotiv selbst beschaffen ist und welchen Ausschnitt man davon zeigen will.
Ein Sonderfall der Architekturfotografie ist die Arbeit mit einem Fisheye-Objektiv. Dieses bildet gerade Linien, die nicht durch die Bildmitte verlaufen, gekrümmt ab. In der Gesamtwirkung ergibt sich dabei eine stark tonnenförmige Abbildung, die ein gutes Superweitwinkelobjektiv nicht aufweist. Die Aufnahme von der Häuserschlucht unten wurde mit einem Canon-Fisheye-Zoom 8-15mm mit längster Brennweite an einer Sony Alpha A7R fotografiert.
Kommentar von Siegfried Layda
Ob Profan- oder Sakralbau – die Architektur ist geprägt von der mehr oder weniger überzeugenden Formensprache der Baumeister und Architekten. Deshalb mag mancher die Architekturfotografie als eher sprödes Thema empfinden, weil es vermeintlich zu wenig kreativen Freiraum lässt – bis man sich damit intensiver auseinandersetzt.
Wenn kein Auftraggeber gestalterische Grenzen setzt, kann der Fotograf – gerade auch in diesem Genre – neue Ideen ausprobieren und realisieren, bis hin zur völligen Abstraktion.
Fazit
In der Architekturfotografie gilt es die Formsprache des Architekten zu unterstreichen, aber je nach Gestaltungsspielraum geht es auch darum sie zu interpretieren und zu abstrahieren. Die Architekturfotografie kann somit sehr vielfältig sein. Grundlegend sind jedoch immer der richtige Standort und die daraus resultierende Perspektive, sowie das vorhandene Licht, welches für die Wirkung des Architekturmotivs ausschlaggebend ist. Im Artikel haben wir Dir zusätzlich an verschiedenen Stellen weiterführende Artikel verlinkt. So kannst Du Dich tiefer in die Themen einlesen und Dein Wissen zusätzlich erweitern.
Weitere Tipps für die Fotopraxis, Tests der aktuellen Kameramodelle und alle Neuheiten und Trends in der Fotobranche erhältst Du im monatlichen ColorFoto-Magazin.
Autor: Karl Stechl
Mehr über die grundlegenden Aspekte der Fotografie von Gebäuden lernst Du in unserem Fotokurs Architekturfotografie.
Interessanter und lehrreicher Bericht. Wäre schön gewesen, wenn die Möglichkeiten von Architekturfotos ohne TS-E Objektive gezeigt würden – denn diese Objektive hat die Masse nicht.
Hallo Klaus,
stürzende Linien kannst Du heutzutage recht einfach per Bildbearbeitung korrigieren. Dazu ist kein TS-E Objektiv mehr nötig:
https://fotoschule.fotocommunity.de/horizont-und-perspektive-korrigieren/
Liebe Grüße,
Lars
Im Fazit sind die künstlerischen Freiheiten des Fotografen auf den Punkt gebracht. Durch die Kreativität des Fotogrefen und den unzähligen Möglichkeiten in die Bild-Gestaltung einzugreifen, entsteht ein eigenes Kunstwerk, weg vom normalen Abbild. Der Artikel gefällt mir sehr gut.
Toller Artikel. Danke
Supertoller Artikel, sehr schöne Fotos!!!
Das zweite Vergleichsfoto vom Potsdamer Platz (mit Shift aufgenommen) belegt jedoch eindrucksvoll die Grenzen von Shift oder auch Nachbearbeitung stürzender Linien!
Denn hier wirkt es fast schon ein bißchen „grotesk“ unnatürlich, da es den Sehgewohnheiten widerspricht: Aus solch einer Extrem-Froschperspektive werden die hohen Gebäude draußen nie parallel zu sehen sein.
D.h.: Bei der Einstellung des Shifts bzw. der Nachbearbeitung sollte man auf eine immer noch natürlich wirkende und erst damit stimmige Perspektive achten, wo (insbesondere bei Froschperspektive / stark gekippter Kamera) stürzende Linien Bestandteil sind & bis zu einem gewissen Grad auch bleiben müssen.
=> ein abgeschwächter Shift wäre in dem Bild vom Potsdamer Platz perfekt.
. . . hier muß ein wesentlicher Aspekt berücksichtigt werden: stehe ich draußen vor einem Gebäude, weiß mein Gehirn: das ist ein Haus – ein Haus hat senkrechte Wände, also korrigiert unser Gehirn die Wände von sich aus.
Beim Betrachten eines Fotos funktioniert das nicht, da muß dem perfekten Abbild nachgeholfen werden.
Ich habe weltweit Architekturaufnahmen gemacht und habe alle am Computer korrigiert, außer es geht wirklich nicht – dann muß man es lassen.
Architektur als fotografisches Thema mit seinen vielen Spielarten ist eine hoch interessante Herausforderung. Die Verwendung eines Stativs ermöglicht eine intensive
Auseinandersetzung mit dem Objekt und es ermöglicht fast ein meditieren vor Ort.
Der Stativkopf MANFROTTO 410 mit seiner Feinjustierbarkeit ist dabei eine hervorragende Einstellhilfe