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Der folgende Artikel aus der aktuellen Reihe „Brennweite“, beschäftigt sich mit einem optischen Spezialisten, dem Tilt-Shift-Objektiv. Ich zeige Dir was die Eigenheiten dieses Objektives sind und wofür und vor allem wie es angewendet werden kann. Dieser Artikel stammt aus dem ColorFoto-Magazin 04-2016.

Tilt-Shift-Objektive sind für ausgemachte Spezialisten unter den Fotografen. Für jene, die lange an einer Einstellung tüfteln, um dann zum optimalen Ergebnis zu gelangen – schon bei der Aufnahme, noch vor jeglichem digitalen Eingriff. Die Domäne der Tilt-Shift-Objektive sind Architektur- und Sachfotos, manche Fotografen verwenden Tilt-Shift-Objektive (das 85er) auch für Porträts. Ein Tilt- und Shift-Mechanismus (deutsch: verschieben und verschwenken) macht Perspektiv- und Schärfebeeinflussungen möglich, die sonst der verstellbaren Fachkamera vorbehalten sind. Tilt-Shift-Objektive sind nur manuell fokussierbar, bieten aber eine überragende Abbildungsqualität. Es gibt die Festbrennweiten in Weitwinkel-, Normalobjektiv- und Kurztele-Ausführung.
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Bildkreisgröße und Verschiebeweg
Mehr drauf. Tilt-Shift-Objektive (1) bilden einen weit größeren Bildkreis (A) ab, als zur Ausleuchtung des Vollformats (A, gelbe Markierung) notwendig wäre. Der Objektivansatz an das Bajonett der Kamera ist so konstruiert, dass das gesamte Objektiv über eine (feststellbare) Rändelschraube kontrolliert verschoben werden kann. Nach oben (2) oder unten (3) und da die meisten Tilt-Shift-Objektive auch eine (rastbare) Drehung des Ansatztellers erlauben, auch nach links und rechts, und in Zwischenstellungen. Das Scharfstellen erfolgt manuell, die Belichtungseinstellung am besten auch, und für das exakte Arbeiten mit dem Tilt-Shift-Objektiv sollte die Kamera auf einem Stativ stehen.
Bildfeld erweitern durch Parallelverschiebung

Mehr Auflösung: Wenn die Kamera parallel zur Motivebene ausgerichtet ist, kann man die Verschiebung der Objektivstandarte dazu verwenden, einen größeren Bereich abzubilden. Ich habe hier das Objektiv zuerst ganz nach oben verschoben (ohne Verschwenkung), um Abbildung B aufzunehmen. Dann wurde unter Beibehaltung der Belichtungseinstellung das Objektiv ganz nach unten verschoben und Abbildung C aufgenommen. Da keinerlei perspektivische Änderung im Bild stattfindet, können beide Bilder perfekt (manuell oder automatisch mit Photoshop-Merge) zum Gesamtbild (A) zusammenmontiert werden. In diesem Fall (Nikon D810) hat das neue Gesamtbild etwa die Pixelmaße 7200 x 8300.
Schärfedehnung durch Verschwenken
Ebenen-Verlagerung. Normalerweise ist die Schärfenebene parallel zur Sensorebene; wird mehr Schärfentiefe (die Ausdehnung des Schärfebereichs nach vorne und hinten, ausgehend von dieser Ebene) benötigt, kann das in einem beschränkten Maße durch stärkeres Abblenden realisiert werden. Durch Verschwenken der Objektivstandarte, siehe Bild 4 und 5, kann die Schärfenebene quasi geneigt und in den Raum hinein verlagert werden.
Deutlich wird das am Beispiel der unten abgebildeten Fruchtgummiringe. In Bild A ist etwa auf die Bildmitte scharfgestellt. Das Objektiv in Normalstellung ist nur mäßig auf Blende 5,6 abgeblendet, und der Schärfentiefebereich ist demzufolge nicht besonders groß.
In Bild B ist die Objektivstandarte maximal verschwenkt, und die Schärfenebene verlagert sich quasi über die Oberfläche der Fruchtgummiringe, was an den Zuckerkristallen sichtbar ist. Das rechte Bild wurde ebenfalls mit Blende 5,6 aufgenommen; eine weitere Abblendung auf Blende 11 oder 16 (Tilt-Shift-Objektive lassen sich in der Regel bis Blende 32 abblenden, Beugungseffekte beachten!) würde hier die Schärfe im Bild durch Zunahme der Schärfentiefe noch weiter steigern.

Tilt-Shift-Objektiv: kreative Möglichkeiten
Zusätzliche Unschärfe


Schärfe-Spielereien. Wie zuvor gezeigt, wird das Verschwenken der Objektivstandarte in der Regel für mehr Schärfegewinn eingesetzt. Man gewinnt an Schärfe, ohne bis zum Anschlag abblenden zu müssen, um damit möglichst die förderliche Blende des Objektivs für die maximale Abbildungsqualität nutzen zu können.

Genauso ist es aber möglich, durch Verschwenken in die Gegenrichtung mehr Unschärfe in der Aufnahme zu erzeugen. Die obige Architekturaufnahme (1) habe ich mit dem unverschwenkten (aber leicht verschobenen, um parallele Kanten zu erhalten) PC-E Micro-Nikkor 2,8/85 D (rechts) mit Blende 2,8 fotografiert. Fokussiert wurde auf die Ecke des Gebäudes (etwa Bildmitte). Weniger Schärfentiefe ins Bild zu bringen, ist hier wegen der Offenblende nicht mehr möglich. Um die Aufnahme nicht gar so alltäglich erscheinen zu lassen (zum Beispiel für ein kreatives Titelbild), sollte etwas mehr Unschärfe ins Bild kommen. Dafür habe ich die Objektivstandarte maximal in die Gegenrichtung verschwenkt: das gezielt unscharfe Ergebnis ist Bild 2.
Sachaufnahmen

Tilt-Shift-Objektiv im Nahbereich: Mit einer Verschwenkung lässt sich beim Pralinenbild (A, unverschwenkt) die Schärfeebene so legen, dass bereits bei Offenblende eine Zunahme an Gesamtschärfe zu sehen ist, die sich nach hinten über die Oberfläche aller drei Pralinen erstreckt (B, verschwenkt). Diese kann mit Abblenden noch weiter gesteigert werden. Die Option, die Objektivkombination um +/-90 Grad (rastbar in Einzelschritten) rotieren zu lassen (rechts), bietet zahlreiche kreative Möglichkeiten für die gezielte Verlagerung der Schärfenebene und der Schärfeausdehnung. Das ist gerade im Nahbereich ein enormer Vorteil, wie hier bei der Studioaufnahme des Amuse-Gueule-Löffels (unten).


Extra-Tipps
Stativ mit dem Tilt-Shift-Objektiv
Bei allen Aufnahmen mit einem Tilt-Shift-Objektiv arbeitet man am besten mit Stativ, schon um die Veränderungen genau nachvollziehen und gegebenenfalls gezielt wieder zurücknehmen zu können. Bei Architekturaufnahmen sollte die Kamera erst einmal ausgerichtet werden. Mit einem Kugelkopf, hier der auf dem Kopf stehend montierbare Novoflex Classic Ball 3 II, ist das sehr schnell möglich.

Wasserwaage
Um bei Architekturaufnahmen stürzende Linien zu verhindern, sollte die Kamera erst einmal exakt waagerecht und senkrecht stehen (elektronische Wasserwaage), erst dann verschiebt man die Objektivstandarte. Manchmal erscheinen Bauwerke mit allzu exakt ausgerichteter Perspektive irgendwie unnatürlich. In diesem Fall kippe ich die Kamera wieder ein klein wenig nach oben, um dann nur ganz leicht stürzende Linien zu erhalten.

Für und wider Streulichtblende
Einerseits sind Tilt-Shift-Objektive anfälliger gegen Streulicht; darum wäre der Einsatz einer Streulichtblende angebracht, vor allem wenn eine direkte Lichtquelle ins Objektiv scheint; andererseits ergibt sich mit montierter Streulichtblende früher eine Vignettierung beim extremen Verschwenken und Verschieben. Abhilfe: ein selbstkonstruierter Dachvorbau (Karton) über dem Objektiv.

Autor: Maximilian Weinzierl
Weitere Tipps für die Fotopraxis, Tests der aktuellen Kameramodelle und alle Neuheiten und Trends in der Fotobranche erhältst Du im monatlichen ColorFoto-Magazin.
Mir haben die Erläuterungen zu Shift-Objektiven gefallen.
Da ich mich mit der Geschichte der Architektur-Photogrammetrie in Deutschland befasse, wüßte ich gerne, wann und durch wen die Objektiv-Verschiebung bei Architektur-Aufnahmen eingeführt wurde.
Können Sie mir weiterhelfen ?
Das Prinzip ist schon lange bekannt. Schon im 1.Weltkrieg hat man die Luftbildaufnahmen “ nach Scheimplug “ am Vergrößerungsgerät entzerrt . Wenn sich die Bildebene, Hauptebene und die Gegenstandseben in einem Punkt treffen, ist die Aufnahme scharf.
Beim schiften treffen sich diese drei Ebenen im Unendlichen, mithin ist die Aufnahme auch scharf.
Ebenen können sich nur in einer Linie, nicht in einem Punkt treffen. Zudem hieß der hier zitierte Kartograf Theodor
Scheimpflug (1865-1911).
Gute verständliche Einführung! Mir hat der Praxishinweis für die gezielte Unschärfe gefallen; gerade auf diesem Gebiet gibt es viele „Überschärfungen“.
VG Egbert
Danke für den informativen Artikel! – Keine Frage, daß ein Tilt-Shift-Objektiv zu den spezielleren Ausrüstungen gehört – gerade deshalb halte ich aber die Erklärung seiner „Daseinsberechtigung“ mit einer solch verständlichen Erklärung und den prinzipiellen optischen und technischen Hintergründen für eine tolle Ausgangsbasis, sich selbst ein „Bild“ machen zu können. Daumen hoch und bitte so weiter machen! ;-)
Ich kann mich der Meinung von R.F.A., dass dieser Beitrag nur etwas für Profis sei, nicht so recht anschließen. Welche neuen Impulse sollte ein Profi aus diesem Artikel entnehmen können!? Die Ausführungen machen höchstens Amateure neugierig – und wegen eines solchen Artikels habe ich mir ein 17 TSE von Canon – gebraucht – gekauft. Sicher auch auf diesem Weg keine geringe Investition, aber die SLR-Fotografie ist nun mal kein „billiges“ Hobby. Und was die möglichen Anwendungen für uns Amateure betrifft, so werde ich nie vergessen, wie ich vergangenes Jahr mit tief empfundener Begeisterung vor der Dresdener Frauenkirche stand und sie – ohne stürzende Linien – vom Sockel bis zum Kreuz in exzellenter Qualität aufnehmen konnte. Sowohl die optische, als auch die technische Qualität dieses Objektives sind (für mich!) einzigartig. Ich fand den Artikel gut – weiter so.
Ausgezeichnete Beschreibung mit Einblick in die Architekturfotografie und der kreativen anderen Verwendungen – sehr informativ
Auch als Amateur finde ich es spannend sich mit solchen Themen zu befassen. Von daher haben auch solche, für Amateure nur theoretischen, Artikel ihre volle Berechtigung.
Der gleichen Meinung wie R. F. Auer bin ich auch.
Ich finde diesen Beitrag sehr spannend. Nun kenne ich die genauen Einsatzmöglichkeiten solcher Objektive. Dies finde ich interessant, auch wenn ich selbst keines besitze.
Auch mal über den Tellerrand schauen und nachvollziehen können wie die ‚Profis‘ ihre Bilder schaffen.
Dieser Beitrag ist eigentlich etwas für Profis und wenn überhaupt nur für ganz, ganz wenige Amateure. Für den normalen Amateur stehen die Investitionen in keinem Verhältnis zur möglichen Anwendung. Insofern geht dieser Beitrag ziemlich weit an meinen Interessen und Bedürfnissen vorbei. Sorry, für die deutlichen Worte.
Nicht von Dir auf andere schließen. Was Dich nicht interessiert ist für andere sehr interessant. Ich freue mich über solche echt wissenswerten Ausführungen.
Sorry für die deutlichen Worte.
LG Peter