Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang: Was lässt sich in Städten entdecken, wenn man den ganzen Tag mit der Kamera unterwegs ist?
In diesem Artikel gebe ich Dir Bildbeispiele sowie Tipps zur Vorbereitung, Motivauswahl, Ausrüstung und fototechnischen Umsetzung. Dieser Artikel stammt aus dem ColorFoto-Magazin 02-2017.
Für Frühaufsteher
Nicht jeder Fotograf ist von Natur aus Frühaufsteher. Wer die Stadt am Morgen erleben will, muss aber bereits vor Sonnenaufgang an den Start. Der Schritt aus der Komfortzone belohnt mit tollen Bildern. Warum sonst sollte sich jemand kurz nach Sonnenaufgang mit der Kamera auf die Brooklyn Bridge stellen?
In Siegfried Laydas Foto findet sich die Antwort: Wann sonst sollte man eine einsame Joggerin auf einer von New Yorks berühmtesten Brücken zu Gesicht bekommen? Tagsüber ist die Brücke voller Menschen und damit weit weniger attraktiv. Dabei bestand die ursprüngliche Idee darin, die Brücke menschenleer zu fotografieren. Die Joggerin kam allerdings wie gerufen, da sie nicht nur ein Hinweis auf die frühe Tageszeit ist, sondern auch einen Maßstab für die Dimension des Bauwerks liefert.
Wer Aufnahmen für den frühen Morgen plant, sollte bereits im Vorfeld gründliche Location-Recherche betrieben haben, sei es vor Ort oder im Internet: Wie lässt sich die Location am frühen Morgen am besten erreichen? Wo sind ideale Fotostandpunkte? Sind wichtige Gebäude gerade eingerüstet? Aus welcher Richtung kommt die noch tiefstehende Sonne? Und weil das ideale Zeitfenster für morgendliche Aufnahmen kleiner ist als der Zeitraum vom späten Nachmittag bis Sonnenuntergang, wird die Ausrüstung bereits am Vorabend der Aufnahmen zusammengestellt und kontrolliert.
Besonders wichtig: Alle verfügbaren Akkus gehören ins Ladegerät, damit Du am nächsten Tag nicht wegen Strommangels ausgebremst wirst. Je nach Jahreszeit solltest Du auf warme Kleidung achten, weil es morgens noch empfindlich kalt sein kann, obwohl die Tagestemperaturen vielleicht schon angenehm sind
Kommentar von Karl Stechl
„Fotografieren in einer neuen Stadt bedeutet für mich zunächst: totale Reizüberflutung! Die Vielzahl der Eindrücke kann dazu führen, dass man zwischen Architekturmotiven, Straßenszenen und zahllosen Details den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht.
Ich setze mich dann gerne mal eine viertel oder halbe Stunde auf eine Bank, in ein Café, um die Atmosphäre auf mich wirken zu lassen. Außerdem kann es helfen, wenn man sich allmählich von den großen Motiven zu den Details vorarbeitet. Über Sehenswürdigkeiten und deren Potenzial als Fotomotiv, informiere ich mich vorab über die Google-Bildsuche.“
Diffuses & direktes Licht
Licht macht das Motiv – eigentlich eine Binsenweisheit, in der Fotopraxis aber immer wieder ein Faszinosum. Bild 1 wurde bei bedecktem Himmel fotografiert; die Graffiti-Darstellung am Brückenpfeiler erfüllt allenfalls dokumentarische Ansprüche. Bei Bild 2 macht die tiefstehende und seitlich einfallende Sonne den entscheidenden Unterschied. Im Grunde wird das Licht dabei selbst zum Motiv, und die Szene erhält etwas Bühnenhaftes – als hätte hier ein Beleuchter Regie geführt.
Um die Mittagszeit
Die Zeitangabe „Zwölf Uhr mittags“, englisch „High Noon“, klingt in den Ohren von Western-Fans vielversprechend – viele Fotografen machen aber lieber einen Bogen um die Mittagszeit. Wobei mit Mittagszeit hier der späte Vormittag bis zum frühen Nachmittag gemeint ist – ein Zeitraum, in dem die Sonne, wenn vorhanden, hoch am Himmel steht und die Schatten kurz sind.
Den Weißabgleich kannst Du versuchsweise mal auf „wolkig“ stellen, wenn die Farbwiedergabe zu bläulich-kalt ausfällt. Den harten Kontrasten begegnest Du am besten, indem Du im RAW-Modus fotografierst. Im Vergleich zu einem parallel fotografierten JPEG wirst Du schnell feststellen, dass sich bei der nachträglichen Verarbeitung im RAW-Konverter (z. B. Lightroom) meist deutlich mehr an Detailzeichnung in Licht und Schattenpartien zaubern lässt.
Sollen die JPEGs aus der Kamera das Endergebnis sein – etwa, weil der Platz auf der Speicherkarte knapp wird – nutze die Möglichkeiten des Kontrastausgleichs, die Dir Deine Kamera bietet. Bei Nikon heißt diese Funktion z. B. Active D-Lighting, bei Sony DRO (Dynamic Range Optimization).
Einen Schritt weiter geht die HDR-Funktion („High Dynamic Range“), die zwei oder mehr unterschiedlich belichtete Aufnahmen zu einem Bild mit ausgeglichenen Kontrasten überlagert. Der vom Kamerarechner eingesetzte Algorithmus entscheidet darüber, ob die HDR-Funktion eher dem Kontrastausgleich dient oder auf Effekt getrimmt ist.
Zudem lässt sich HDR mittels externer Software (z. B. Photomatix Pro 5 von HDR-Software oder HDR Photo Pro 6.0 von Franzis) realisieren. Als Ausgangsmaterial benötigst Du eine Reihenbelichtung des Motivs: Normalbelichtung gemäß Matrixmessung, Unterbelichtung (- 2 Blendenstufen) und Überbelichtung (+ 2 Blendenstufen).
Entzerren bei der Bildbearbeitung
Das Begradigen stürzender Linien bei der Bildbearbeitung ist eine preisgünstige Alternative zur Perspektivkorrektur mit Shift-/Tilt-Objektiv. Bereits bei der Aufnahme sollte man beachten, dass genug „Fleisch“ um das Hauptmotiv bleibt, weil beim Entzerren der Ausschnitt enger wird.
Bild 1 zeigt das Original mit stürzenden Linien; Bild 2 ist ein Screenshot der Bearbeitung in Photoshop Elements (Bild – Transformieren – Perspektivisch verzerren) inklusive Hilfslinien. Verwendest Du „Verzerren“, kannst Du das Motiv auch noch etwas strecken, wenn es nach dem Entzerren gestaucht erscheint. Bild 3 ist die bearbeitete Version.
Bis zur blauen Stunde
Wenn die Sonne tief am Himmel steht und die Schatten lang werden, freuen sich Fotografin und Fotograf. Architekturaufnahmen profitieren vom Seiten- bzw. Streiflicht, das Fassaden- und Materialstrukturen betont, Straßenszenen gewinnen durch Gegenlicht. Vereinfacht lässt sich sagen, dass die Bedeutung von Licht und Schatten als Gestaltungsmittel am späten Nachmittag zunimmt. Beim Fotografieren mit Weitwinkelobjektiven wird es zu einer Gestaltungsfrage, welcher Teil des Motivs im Schatten und welcher im Licht liegt.
Wenn nach Sonnenuntergang die Allgemeinhelligkeit zurückgeht und die „blaue Stunde“ naht, wirst Du die ISO-Einstellung erhöhen müssen, um ohne Stativ oder Ausreizen der Bildstabilisierung verwackelungsfrei fotografieren zu können. Ausgehend vom ISO-Minimum (meist 100/200) erhöhst Du zunächst moderat auf ISO 400 und versuchst, die Kamera durch Auf- und Anlegen zu stabilisieren – etwa am Autodach, einem Straßenschild oder Mauervorsprung.
Extra-Tipp: Verwende dafür ein Kamerakissen (z. B. von Kalahari), das mit Bohnen oder Reiskochbeuteln gefüllt wird. Es ist formflexibel und erlaubt so in Grenzen das Ausrichten der Kamera. Bei ISO 800 werden die meisten Kameras mit größeren Bildsensoren ab Four-Thirds noch gute Bildergebnisse bringen. Ab ISO 1600 kommst Du in eine Region, ab der viele Kameras bereits merkbare Texturverluste aufgrund intensiver Rauschfilterung zeigen. Vor allem gilt dies für JPEGs aus der Kamera.
Wurden die Bilder dagegen im RAW-Modus fotografiert, hast Du es bei der RAW-Verarbeitung selbst in der Hand, ob Du etwas mehr Rauschen zugunsten besserer Feinzeichnung akzeptierst – oder lieber umgekehrt.
Kommentar von Siegfried Layda
„Die „blaue Stunde“ kann man pro Tag zweimal erleben: morgens vor dem Aufgang und abends nach dem Untergang der Sonne. Sie ist geprägt durch das blaue Himmelslicht mit einer Farbtemperatur um 10 000 Kelvin; es gibt kein direktes Licht, keine Schatten.
Für Fotografen dauert die blaue Stunde aber keine 60 Minuten, sondern kaum mehr als eine Viertelstunde: Innerhalb dieses Zeitfensters ist der Motivkontrast ideal, während sich am Horizont oft noch ein Streifen mit dem rötlichen Licht der untergegangenen Sonne zeigt.
Als Faustregel: Wenn Dein Auge den idealen Aufnahmezeitpunkt signalisiert, liegt dieser für den Bildsensor etwa 5 bis 10 Minuten später. Und dann kann man auch bald wieder einpacken.“
Nachtschwärmer
Nachts sind alle Katzen grau, sagt das Sprichwort. Bei Städteaufnahmen stimmt das nur bedingt, denn manches Bauwerk, das bei Tag grau und uninteressant wirkt, entfaltet durch nächtliche Illumination eine starke Wirkung. Ich zeige Dir wie man solche Stimmungen ins Foto transportiert.
Nachtaufnahmen sind ein Sonderfall des Fotografierens bei vorhandenem Licht. Der Übergang vom Sonnenuntergang bis zur Nachtaufnahme ist fließend. Mancher Aufnahme sieht man es auch nicht auf den ersten Blick an, zu welcher Uhrzeit sie aufgenommen wurde. Ein entscheidendes Merkmal ist die Färbung des Himmels: Bei Nachtaufnahmen ist er nicht mehr blau, sondern schwarz oder durch den „Lichtsmog“ einer Großstadt rötlich-gelb verfärbt – ein Effekt, der noch durch Nebel verstärkt wird, wie das Bild der Golden-Gate-Bridge zeigt.
Der RAW-Modus lohnt sich hier vor allem mit Blick auf den Weißabgleich und der damit verbundenen Option, die Farbabstimmung der Aufnahme nachträglich festzulegen. Typisch für Nachtaufnahmen sind Langzeitbelichtungen im Sekunden oder gar Minutenbereich. Der Versuch, kürzere Verschlusszeiten durch hohe ISO-Werte über 3200 oder 6400 zu erreichen, ist bei Nachtaufnahmen meist kontraproduktiv, weil das Rauschen in dunklen Bildpartien besonders störend in Erscheinung treten kann und Pixelfehler zunehmen.
Verwende stattdessen ein stabiles Stativ, und begnüge Dich mit ISO-Einstellungen um ISO 100/200. Blende und Verschlusszeit stellst Du am besten manuell ein. Zum verwackelungsfreien Auslösen verwende einen Funkauslöser oder eine Kamera-Remote-App am Smartphone. Das dazugehörige Live-Bild am Smart phone lässt sich gerade bei Nachtaufnahmen gut beurteilen.
Nachtaufnahme
Bei einer Nachtaufnahme zeigt das Histogramm in der Regel einen deutlichen Beschnitt bei den Schatten und teilweise ausgefressene Lichter (1/3). Das nachträgliche Aufhellen dunkler Partien, hier mit „Tiefen/Lichter“ (Tiefen 50 %) in Photoshop (2), kann sinnvoll sein, aber auch das Rauschen verstärken. Im schwarzen Himmel muss man verstärkt mit hellen Pixelfehlern (Hot Pixel) rechnen (4). Gegenmaßnahme: Verwende – wenn vorhanden – die Kamerafunktion „Langzeit-Rauschminderung“, mit der sich die Verarbeitungszeit der Bilddatei allerdings drastisch erhöhen kann. Der abgebildete Ausschnitt misst 1 x 1,5 cm und stammt aus einer 40 x 26,67 cm großen Bilddatei (jeweils 300 dpi).
Fazit
In diesem Artikel habe ich Dir gezeigt, wie Du Dich optimal auf Deinen nächsten fotografischen Städtetrip vorbereitest. Du weißt nun, wie wichtig eine gute fototechnische Ausrüstung ist, aber auch, dass eine vorherige Motivrecherche unumgänglich ist, um keine Überraschungen zu erleben.
Zudem habe ich Dir die verschiedenen Herausforderungen erläutert, die die unterschiedlichen Tageszeiten mit sich bringen und wie Du diese erfolgreich meisterst.
Welche Stadt ist Dein nächstes Ziel?
Weitere Tipps für die Fotopraxis, Tests der aktuellen Kameramodelle und alle Neuheiten und Trends in der Fotobranche erhältst Du im monatlichen ColorFoto-Magazin.
Wir empfehlen Dir außerdem den folgenden Fotokurs und die Artikel zum Thema Städtefotografie:
Fotografieren zur Blauen Stunde
Du erfährst, welche Hilfsmittel Dir beim Fotografieren zur Blauen Stunde helfen und Du lernst, worauf es bei der Nachbereitung dieser Bilder ankommt.
Graufilter: Menschen verschwinden lassen
An dem perfekten Foto der Sehenswürdigkeit stören dich, die Menschen die vor dem Gebäude stehen? Mithilfe von Graufiltern kannst du Menschen und andere sich bewegende Dinge aus deinen Bildern entfernen. Wir zeigen Dir, wie es geht.
Einführung: Architektur fotografieren
Lerne, welche Techniken für das Fotografieren von Architektur hilfreich sind und was den richtigen Standort als Fotograf ausmacht.
Autor: Karl Stechl
Danke, wiedermal ein toller Artikel mit tollen Bildern. Macht sofort Lust auf Reisen zu gehen.
Hallo,
ich finde den Artikel sehr interessant. Nur wäre es aus meiner Sicht schön gewesen vielleicht zu erwähnen welche Brennweiten sich für die Städte Fotografie eignen.
Gruß stephan
Guter Lehrgang zur Stadtfotografie. Noch eine Anmerkung dazu: Bei Belichtungszeiten zwischen 1/10 und etwa 2 sec empfiehlt es sich, die Spiegelvorauslösung zu nutzen, da die Vibrationen sonst trotz Stativ eine leichte Unschärfe verursachen, ich nutze auch gern die Auslösungsverzögerung (Selbstauslöser) von 2 sec um Verwackeln durch Auslöserdrücken zu vermeiden.
Wie jeder Artikel in der Fotoschule hat auch dieser wieder mein Know-how im Bereich der Fotografie erweitert. Mehr noch ist es die Inspiration, die mich mit Begeisterung auf den nächsten Artikel warten lässt.
Bei diesem Artikel ist mir aber aufgefallen, dass bei der Nachbearbeitung des Fotos vom Berliner Hauptbahnhof etwas im wahrsten Sinne des Wortes schief gelaufen ist. Sollten die Oberkannte des linken Turmes und die waagerechten Linien nicht auch waagerecht sein? Oder wollte der Nachbearbeiter optisch darstellen, dass bei der DB gelegentlich etwas schief läuft?
Für mich war der Hinweis „Langzeit-Rauschminderung“
interessant.
moin moin, sehr guter Artikel mit netten Anregungen und Tipps, was ich bei den Beispielaufnahmen sehr hilfreich finde, ist die Angabe bzw. Hinweis auf KB bzw. Halbformatsensoren.
Die erste Publikation hat mir sehr gut gaefallen, ich brauche Empfehlung fur den Fotoaparat fuer bessere Fotographie, ich been Amateur in dieser Diszplin.
Vielen Dank
Victoria Quijano
Bitte denke daran, das gute Foto entsteht im Kopf. Fotografiere im Kopf und dann nehme den Fotoapparat und vollende Deine Idee !
Sehr schöner informativer Artikel! Danke dafür
Ein Hinweis dass man bei Langzeitbelichtungen den Bildstabi ausschalten sollte wäre evtl. noch angebracht gewesen.
Ich freu mich schon auf das nächste Thema
Danke, -mir gefällt es immer wieder, so einen und auch andere Beiträge zu lesen, die für mich auch Anleitung sind.
Seit 4 Jahren fotografiere ich nun auch intensiv, muss mich aber immer noch als Lehrling bezeichnen. Die Welt der Fotografie ist so vielfältig und auch unergründlich,- (für mich wenigstens)
schmunzel…. es ist die Technik die uns fordert – und die man lernen sollte…. Fotograf ist ein Lehrberuf… ;-)) und autodidaktische Ausbildungen dauern eben ein wenig länger…. ich bin auch erst am Anfang vom 2. Lehrjahr .. nach 4 Jahren Studium der Kamera.. und den Zusammenhängen von Schaltern, Tasten und Anzeigen.. -).
Die Motive seh ich schon immer ganz gut, aber die Ausführung ist noch . nicht ganz wie ich es möchte… die Beiträge wie oben .. erschliessen mir langsam die Zusammenhänge .. danke den Autoren