Eine Frage der Perspektive

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Ein elementares Gestaltungsmerkmal ist die Perspektive, in der Malerei wie in der Fotografie. Auf den folgenden Seiten zeigen wir Dir verschiedene Spielarten wie die Zentral-, Vogel- oder Froschperspektive. Außerdem erfährst Du, warum der Aufnahmestandort für die Perspektive zwar entscheidend, der Bildwinkel des Objektivs für die Bildwirkung aber deshalb nicht weniger wichtig ist.

Dieser Artikel stammt aus der ColorFoto 5/2019.

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Zentralperspektive

Mallorca, Pollença, Treppe zum Kalvarienberg: Ein klassischer Fall von Zentralperspektive – die Fluchtlinien treffen sich fast im Bildmittelpunkt. Ein leichtes Weitwinkel verstärkt den Effekt, weil der Vordergrund „verbreitert“ wird. Ein Bild wie dieses vermittelt den Eindruck von perfekter Symmetrie.

Sony A7R III | 35 mm | ISO 100 | f/11 | 1/80 s Foto: Siegfried Layda
Sony A7R III | 35 mm | ISO 100 | f/11 | 1/80 s Foto: Siegfried Layda

Fluchtpunkte

Perspektive kommt vom lateinischen „perspicere“ (hindurchsehen, hindurchblicken) und ist definiert durch das Abstandsverhältnis von Objekten im Raum in Bezug auf den Standort des Betrachters. Frühe Formen perspektivischer Darstellung will man bereits in alten Höhlenbildern entdeckt haben, doch erst in den Bildwerken der Renaissance findet sich eine konsequent umgesetzte Zentral- oder Fluchtpunktperspektive. Als ihr „Erfinder“ gilt gemeinhin der italienische Künstler und Architekt Filippo Brunelleschi (1377-1446). Die Zentralperspektive ist dadurch gekennzeichnet, dass die bildbestimmenden Linien in einem Punkt zusammenlaufen. Dieser Punkt muss sich nicht genau in der Bildmitte befinden. Wenn dem so ist, lässt sich aber ein Höchstmaß an Symmetrie bei der Bildgestaltung erreichen. Bei der Übereck- oder Diagonalperspektive kommt es – je nach Lage des Hauptmotivs im Bild – zu einem oder zwei Fluchtpunkten, die sich in der Regel außerhalb des Bildfelds befinden. Weitwinkelobjektive verstärken die Fluchtpunkt-Perspektive, weil sie den Vorder- im Vergleich zum Hintergrund vergrößern. Ein Spezialfall ist die Parallelperspektive: Sie ergibt sich, wenn ein Objekt ohne nennenswerte Tiefenausdehnung frontal fotografiert wird. Ein typisches Beispiel ist die Aufnahme einer Hausfassade oder einer anderen senkrechten Fläche ohne das Einbeziehen des Vordergrunds. Die Kameraposition ist hier zwar die gleiche wie bei einer Aufnahme in Zentralperspektive, jedoch treten dabei keine für das Bild relevanten Fluchtlinien auf.

Diagonalperspektive – ein Fluchtpunkt

Kossuth-Denkmal in Budapest: Die Diagonal- oder Übereckperspektive mit einem Fluchtpunkt lässt das Motiv asymmetrisch und dynamisch wirken. Erst recht, wenn wie hier ein 24-mm-Weitwinkel zum Einsatz kommt.

Fujifilm X-T2 | 24 mm/KB | ISO 200 | f/8 | 1/750 s Foto: Karl Stechl
Fujifilm X-T2 | 24 mm/KB | ISO 200 | f/8 | 1/750 s Foto: Karl Stechl

Diagonalperspektive – zwei Fluchtpunkte

Singapur; Stadtteil „Little India“: Bei der Diagonal- oder Übereckperspektive mit zwei Fluchtpunkten ergibt sich in der Wirkung eine Mischung aus Symmetrie und Dynamik. Wie meistens bei dieser Perspektive treffen sich die Fluchtpunkte hier außerhalb des Bildfelds.

Sony A7 II | 26 mm | ISO 100 | f/10 | 1/320 s Foto: Siegfried Layda
Sony A7 II | 26 mm | ISO 100 | f/10 | 1/320 s Foto: Siegfried Layda

Parallelperspektive

Reykjavík, Island: Wenn die Bildbzw. Sensorebene parallel zu einem flächigen Motiv steht, spricht man von Parallelperspektive. Typisch: eine Häuserfassade – Fluchtpunkte findet man hier nur andeutungsweise bei den Booten im Vordergrund.

Sony A7R | 33 mm | ISO 100 | f/11 | 1/30 s Foto: Siegfried Layda

Schrägsicht

Blick über eine Häuserzeile auf den Bodensee: Die meisten Bilder in Vogelperspektive sind Bilder von oben in Schrägsicht. Geeignete Aussichtspunkte dafür lassen sich finden – mal mit mehr, mal mit weniger Aufwand.

Nikon D90 | 50 mm/KB (17-70 mm) | ISO 100 | f/5,6 | 1/250 s Foto: Karl Stechl

Froschperspektive

Löwenstatue auf der Freiheitsbrücke in Budapest: Von unten fotografiert, wirkt der Löwe dominant, fast bedrohlich und wie freigestellt vor dem blauen Himmel; die weiße Wolke setzt einen Akzent.

Fujifilm X-T2 | 42 mm/KB (18-55 mm)| ISO 200 | f/8 | 1/160 s Foto: Karl Stechl

Frosch- und Vogelperspektive

Spricht man von Normalperspektive, so ist die Sichtweise eines nach vorne schauenden Fußgängers gemeint. Viele Fotos entstehen schon deshalb auf diese Weise, weil es bequem ist, mit der Kamera am Auge gerade nach vorne zu fotografieren. Dabei lohnt es sich immer, die Aufnahmeposition zu variieren, indem man ein paar Schritte nach links oder rechts macht. So lassen sich störende Hintergrunddetails oder unschöne Überschneidungen von Motivelementen vermeiden, wie das Bildpaar auf dieser Seite zeigt. Liegt der Augenpunkt deutlich oberhalb des Motivs, so spricht man von Vogelperspektive. Meist handelt es sich dabei um Schrägsichten wie bei dem Blick über die Häuserzeile auf den Bodensee mit Schiff. Aussichtspunkte lassen sich meistens finden, um solche Ansichten zu realisieren. Seltener sind Vogelperspektiven, bei denen nahezu senkrecht nach unten fotografiert wurde. Die Froschperspektive ist das exakte Gegenteil der Vogelperspektive. Hier liegt der Augenpunkt unterhalb des zu fotografierenden Gegenstands, die Kamera muss nach oben geschwenkt werden. Bei der Architekturfotografie führt dies automatisch zu stürzenden Linien, die sich bei der Bildbearbeitung durch Entzerren wieder gerade richten lassen. Tipp: Lasse beim Fotografieren genügend Spielraum um das Hauptmotiv, weil durch das Entzerren der Bildausschnitt ohnehin knapper wird. Grundsätzlich ist die Froschperspektive auch ein Stilmittel, um ein Motiv dominanter wirken zu lassen. Ein Beispiel: die Löwenstatue auf der Freiheitsbrücke in Budapest.

Draufsicht

Fast senkrecht von oben fotografiert – diese Art von Vogelperspektive ist seltener. Ein wenig musste durch Perspektivkorrektur (Entzerren) in Photoshop allerdings nachgeholfen werden, um die Pflasterlinien parallel zu den Bildrändern verlaufen zu lassen.

Canon PowerShot G9 | 210 mm/KB | ISO 80 | f/5,6 | 1/60 s Foto: Karl Stechl

Perspektivwechsel

Die Perspektive lässt sich nur durch Wechsel des Standorts verändern. Beim ersten Bild überschneiden sich Turm und Reiter. Mit ein paar Schritten zur Seite ließen sich beide nebeneinander platzieren – so wirkt das Foto aufgeräumter. In beiden Fällen kam ein leichtes Tele zum Einsatz.

Fujifilm X-T2 | 80 mm/KB (18-55 mm) | ISO 200 | f/8 | 1/400 s Foto: Karl Stechl
Fujifilm X-T2 | 80 mm/KB (18-55 mm) | ISO 200 | f/8 | 1/400 s Foto: Karl Stechl

Raumverdichter

Straße ins Death Valley (USA, Nevada): Das starke Teleobjektiv komprimiert scheinbar den Raum, wodurch sich eine für das Auge ungewohnte Sichtweise auf den Straßenverlauf mit allen Unebenheiten im Asphalt ergibt.

Canon EOS-1Ds Mk II | 400 mm (100-400 mm) | ISO 100 | f/8 | 1/125 s Foto: Siegfried Layda

Vordergrund

Ein Weitwinkelobjektiv ermöglicht mehr Nähe zum Vordergrund, sodass dieser im Vergleich zum Hintergrund vergrößert dargestellt wird und mehr Gewicht bekommt, wie hier die Straßenmarkierung.

Sony NEX-7 | 28 mm/KB (16-70 mm) | ISO 100 | f/11 | 1/250 s Foto: Siegfried Layda

Brennweiten-Vergleich

Zwei Bilder vom gleichen Standort: Die Weitwinkelaufnahme zeigt einen distanzierten Blick auf die Straßenszene; der Himmel schafft ein kühles Farbklima. Das starke Tele konzentriert den Blick dagegen auf die warmtönigen Himmelsanteile und das Brodeln der Großstadt.

Sony A7 III | 24 mm (24-105 mm) | ISO 1000 | f/13 | 1/10 s Foto: Siegfried Layda
Sony A7 III | 360 mm (70-400 mm) | ISO 1000 | f/13 | 1/13 s Foto: Siegfried Layda

Weitwinkel und Tele

Wie bereits erwähnt ändert sich die Perspektive nicht, wenn Du von einem festen Standort aus mit unterschiedlichen Brennweiten fotografierst. Aus der mit kürzester Brennweite entstandenen Aufnahme könnte man Bildausschnitte isolieren, die sich von denen mit längeren Brennweiten entstandenen kaum unterscheiden. Allerdings ginge die Bildqualität dabei im gleichen Maß zurück, wie die Ausschnitte knapper würden. Außerdem weiß jeder Fotograf, dass die verwendete Brennweite die Bildwirkung entscheidend beeinflussen kann. Umso mehr, wenn man mit zwei sehr unterschiedlichen Brennweiten fotografiert wie etwa einem 24-mm-Weitwinkel und einem 300-mm-Tele. Deshalb erscheint es auch legitim, von Weitwinkel- oder Teleperspektive zu reden. Ein Weitwinkel kann aufgrund seines großen Bildwinkels mehr vom Motiv abbilden. Wichtig, wenn man den Abstand zum Motiv nicht beliebig vergrößern kann – beispielsweise bei Innenaufnahmen oder in Häuserschluchten. Zudem ermöglicht ein Weitwinkel mehr Schärfentiefe bei einer gegebenen Blende und damit mehr Nähe zum Vordergrund. Dabei verschieben sich die Größenunterschiede von Objekten im Raum zugunsten des Vordergrunds. Was vorne im Bild steht, wirkt größer und wichtiger als Dinge im Hintergrund. Im Gegensatz dazu komprimieren Teleobjektive scheinbar den Raum. Sie lassen weit entfernte Objekte enger zusammenrücken und Motive flächig wirken. Bei einer gegebenen Blende erzeugen sie weniger Schärfentiefe als ein Weitwinkel und fördern damit das kreative Spiel mit selektiver Schärfe und Bokeh-Effekten.

Fisheye

Einen ungewohnten Blick auf die Felsenbucht auf der Halbinsel Formentor (Mallorca) eröffnet das 14-mm-Fisheye: Es bildet die Horizontlinie gewölbt ab. Fast glaubt man, den Blauen Planeten vom Weltall aus zu sehen.

Sony A7R III | Canon-Fisheye 14 mm (8-15 mm), adaptiert | ISO 100 | f/13 | 1/160 s Foto: Siegfried Layda

Mehr Perspektiven

Die klassische Fluchtpunktperspektive folgt den geometrischen Gesetzen der Zentralprojektion. In der Fotografie spielen aber auch andere Projektionsformen eine Rolle – etwa die Fischaugenprojektion. Fisheye-Objektive bilden gerade Linien, die nicht durch die Bildmitte verlaufen, gekrümmt ab. In der Gesamtwirkung ergibt sich dabei eine stark tonnenförmige Abbildung – ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu Weitwinkel- und Superweitwinkelobjektiven, die keine entsprechende Verzeichnung aufweisen. Eine Gemeinsamkeit mit Superweitwinkelobjektiven ist der große Bildwinkel, der bei einem formatfüllend abbildenden Fisheye üblicherweise 180 Grad über die Diagonale beträgt, während die horizontalen und vertikalen Bildwinkel entsprechend kleiner sind. Typ 2 ist das Zirkular-Fisheye, das ein kreisrundes Bild innerhalb des rechteckigen Aufnahmeformats zeichnet. Auch die Stitch-Programme für Panoramabilder bedienen sich besonderer Projektionsformen wie der zylindrischen Projektion; es handelt sich dabei um die Abbildung auf eine zylindrische Fläche, die sich dann in eine Ebene aufrollen lässt. Die Luftperspektive hat mit geometrischen Projektionsverfahren wie der Zentralperspektive nichts zu tun. Stattdessen geht es darum, den Eindruck von Tiefe in einem Bild durch Helligkeits-, Kontrast- und Farbverlauf zu erzeugen. Die Landschaftsaufnahme auf der rechten Seite oben zeigt, wie das aussieht: Der Kontrast nimmt vom Vorder- zum Hintergrund kontinuierlich ab, während die Helligkeit zunimmt und die Farbe sich ins Bläuliche verschiebt.

Luftperspektive

Weinregion Hexriver in der Kap Provinz, Südafrika: Der Kontrast nimmt vom Vordergrund zum Hintergrund ab, während sich die Farbe zunehmend ins Bläuliche verschiebt. Man nennt das Farboder Luftperspektive.

Canon EOS-1Ds Mk II | 75 mm | IS 100 | f/11 | 1/100 s Foto: Siegfried Layda

Panorama

Insel La Digue mit Strand „Anse Cocos“ (Seychellen) – ein Panorama aus drei Einzelbildern, zusammengesetzt in Photoshop mittels Photomerge (zylindrische Projektion).

Canon EOS-1Ds Mk II | 24 mm | ISO 100 | f/9 | 1/200 s Foto: Siegfried Layda
Autor: Siegfried Layda
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4 Kommentare

  1. Der größte Teil des Artikels ist gut und richtig. Aber bei dem Beispielbild für die 2-Fluchtpunkte-Perspektive wurde gemogelt: die oberen Kanten des Motivs sind in Wirklichkeit nicht horizontal, sondern schräg verlaufend, so dass sie die horizontale Unterkante in jedem Fall schneiden, ganz ohne Fluchtpunkte. Aber es gibt durchaus Bilder mit zwei richtigen Fluchtpunkten, z.B. wenn man eine Gebäudeecke (vorzugsweise mit einem Weitwinkelobjektiv) so fotografiert, dass beide Fassaden unter einem Winkel zur Blickrichtung stehen.
    Die Definition der Parallelperspektive ist auch nicht richtig: Bei der Parallelperspektive gibt es gar keine Fluchtpunkte. Sie ist eigentlich nur in Zeichnungen anzutreffen, z.B. bei isometrischer Projektion. Zeichnungen mit Parallelperspektive wirken unnatürlich – und das sind sie auch, denn entfernte Gegenstände erscheinen genau im selben Maßstab wie nahe. Normalerweise trifft man in der Fotografie nie auf die echte Parallelperspektive – aber es gibt eine Ausnahme (zumindest angenähert): für Messzwecke gibt es sogenannte telezentrische Objektive. Damit kann man Objekte, die kleiner sind als der Frontlinsendurchmesser, parallelperspektivisch auf den Sensor abbilden. Das wird aber praktisch nur in der industriellen Bildverarbeitung angewandt, z.B. zur automatischen Qualitätskontrolle.

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