Das vorhandene Licht ändert sich beständig im Laufe des Tages und an der Grenze zwischenTag und Nacht. Und mit dem Wechselspiel des Lichts verändern sich auch die Motive. Was das für die Fotopraxis bedeutet, und wie Du das Tageslicht in der Fotografie einsetzt, zeigen wir Dir mit Bildserien einer Landschaft und einer Stadtszene.
Dieser Artikel stammt aus der ColorFoto 06/2022
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Mehr Infos zu den FotokursenWie Licht die Landschaft verändert
Diese Bildserie wurde in der südlichen Hemisphäre (Südafrika) aufgenommen.
Viele Fotografinnen und Fotografen meiden die Mittagszeit wie Vampire das Sonnenlicht. Zugegeben: Das Licht am frühen Morgen oder späten Nachmittag ist fast ein Garant für stimmungsvolle Bilder. Das heißt aber längst nicht, dass andere Tageszeiten mit Tageslicht für die Fotografie wenig oder oder gar nicht geeignet sind. Es gibt Situationen, in denen eine im Zenit stehende Sonne genau das richtige Licht liefert – zum Beispiel wenn man im Herbstwald in Richtung der Baumkronen fotografiert, die im Gegenlicht leuchten. Bei Stadtansichten schickt die Mittagssonne ihre Strahlen vielleicht in einen Hinterhof, in den zu anderen Zeiten kein Licht fällt. Architekturmotive mit starken Eigenfarben können bei hohem Sonnenstand und tief blauem Himmel sehr plakativ wirken.
Es lohnt sich also, die Erscheinungsformen des Lichts zu verschiedenen Tageszeiten zu beobachten und so das Tageslicht in der Fotografie optimal zu nutzen: Wie hoch steht die Sonne? Aus welcher Richtung trifft sie auf das Motiv? Ist das Licht gerichtet oder diffus? Ist der Himmel bedeckt, oder tragen Wolken zur Bildwirkung bei?
Lichtrichtung und -qualität: Tageslicht in der Fotografie
An einem wolkenlosen Tag ist die Sonne eine weit entfernte Punktlicht quelle, deren Strahlen einen Gegenstand direkt treffen. Folglich ist er auf der einen Seite stärker beleuchtet, also heller als auf der anderen Seite, wo ein Schatten entsteht. Man bezeichnet diese Lichtqualität als gerichtet; sie geht mit einem hohen Motivkontrast einher. Diffuses (weiches) Licht zeigt sich, wenn Sonnenlicht an Wolken, Nebel oder Dunst gestreut wird. Die Schattenbildung ist gering, der Motivkontrast ebenfalls. Diffuses Licht gibt es aber auch bei wolkenlosem Himmel, nämlich in den Schattenpartien eines Motivs. Dort verändert sich nicht nur die Helligkeit, sondern auch die Lichtfarbe im Vergleich zu jenen Motivpartien, die direktem Sonnenlicht ausgesetzt sind. In der Kunst waren es die Impressionisten, die Schatten mit intensiv blauer Färbung malten.
Je nach Tages- und Jahreszeit steht die Sonne höher oder tiefer über dem Horizont. Außerdem trifft sie aus unterschiedlichen Richtungen auf das Motiv. Die Wirkung der Lichtrichtung lässt sich beeinflussen, indem man den Aufnahmestandort ändert – zumindest innerhalb des Rahmens, den das gewählte Motiv und die Gestaltungs absicht zulassen. Andernfalls sollte man die Aufnahme zu einer anderen Tageszeit wiederholen. Mehr Informationen zum Thema „Lichtrichtung“ fin den Sie im Themenkasten.
Die Farben des Himmels
Die Erdatmosphäre wirkt wie ein Lichtfilter und beeinflusst so das vorhandene Licht. Bei hohem Sonnenstand ist der Weg des Lichts durch die Atmosphäre relativ kurz. Dabei wird vor allem kurzwelliges blaues Licht an den Gasmolekülen der Atmosphäre gestreut; der Himmel wird zu einem blauen Scheinwerfer. Morgens und abends ist der Weg der Sonnenstrahlen durch die Atmosphäre länger: Kurzwelliges blaues Licht wird zunehmend von den Gasmolekülen abgefangen, während das rote, langwellige Licht bei uns ankommt. Sind Wolken oder Dunst im Spiel, kann sich der gesamte Horizont aufgrund von Streueffekten intensiv rot färben.
Aus diesem Grund bezeichnet man die Zeitspanne vor dem Sonnenuntergang auch als Goldene Stunde. Danach folgt die Dämmerung in drei Phasen (siehe unten). Die Blaue Stunde liegt etwa am Übergang zwischen den ersten bei den Dämmerungsphasen. Anders als bei Nachtaufnahmen ist der Himmel dann nicht schwarz, sondern dunkelblau.
Der Himmmel bei Sonnenaufgang
Von Tag zur Nacht
Vor dem Sonnenuntergang färbt sich das Sonnenlicht intensiv rötlich; man nennt das auch Goldene Stunde. Anschließend folgen drei Dämmerungsphasen. Die bürgerliche Dämmerung heißt so, weil man im Freien noch ohne Taschenlampe lesen kann. Die nautische Dämmerung lässt erste Sterne sichtbar werden, die man auf See zur Navigation nutzen könnte. Als dritte Phase folgt die astronomische Dämmerung als Übergang zur tiefen Nacht. Morgens laufen die drei Dämmerungsphasen in umgekehrter Reihenfolge bis hin zum Sonnenaufgang ab. Die Blaue Stunde liegt etwa am Übergang zwischen bürgerlicher und nautischer Dämmerung – fotografisch interessant, weil der Himmel nicht schwarz wie in der Nacht ist, sondern intensiv blau. Künstliche Lichtquellen im Motiv bilden dazu einen schönen Komplementärfarbenkontrast.
Fotografieren am Abend
Fotografie und Tageslicht: Tipps für die Praxis
Das Fotografieren zu verschiedenen Tageszeiten erfordert eine strukturierte Herangehensweise. Tipp: Erkunde das Motiv zu einem beliebigen Zeitpunkt, um herauszufinden, ob die Szene nicht vielleicht durch Baumaßnahmen „unfotografierbar“ ist. Lege den Aufnahmestandort fest, und prüfen, aus welcher Richtung das Licht zu den geplanten Aufnahmezeitpunkten kommt. Dabei helfen Smartphone-Apps wie Sun Surveyor.
Für erste Probeaufnahmen brauchst Du kein Stativ, viele verwenden auch gern das Smartphone für Fotoskizzen. Wenn Du gleich die Kamera nimmst, kannst Du bereits jetzt die optimale Brennweite festlegen. Damit sparst Du bei der späteren Aufnahme Zeit, denn vor allem die Goldene und Blaue Stunde sind oft kürzer, als man denkt. Gute Vorbereitung ist vor allem fürs Fotografieren am frühen Morgen wichtig, da man bei wenig Licht beginnt. Fotografiere prinzipiell im RAW-Modus. Zum einen gewinnst Du damit Spielraum für die Bewältigung hoher Motivkontraste, zum anderen kannst Du den Weißabgleich flexibel handhaben. Verwende bei der Aufnahme eine Festeinstellung für den Weißabgleich, vorzugsweise „Tageslicht“ (um 5500 Kelvin). Es spricht aber auch nichts gegen die Aktivierung der WBAutomatik. Egal, was Du bei der Aufnahme eingestellt hast, Du kannst den Weißabgleich bei der nachträglichen RAW Verarbeitung beliebig verändern. So bist Du für die Fotografie bei Tageslicht vorbereitet.
Als Aufnahmezubehör empfehlen wir Polfilter sowie ND und ND-Verlaufsfilter. ND steht für „Neutraldichte“. Ein ND-Filter reduziert das Aufnahmelicht, sodass man auch am Tag mit langen Belichtungszeiten fotografieren kann, um beispielsweise Fußgänger oder fahrende Autos auszublenden. Ein ND-Verlaufsfilter dunkelt dagegen Bildbereiche wie den Himmel ab. Bei Abend- und Nachtaufnahmen vom Stativ hilft ein kabelgebundener oder kabelloser Fernauslöser. Außerdem bietet heute jeder Kamerahersteller auch eine SmartphoneApp mit Fernauslösefunktion inklusive Live-Bild am Smartphone an.
Autor: Karl Stechl