Fotograf Twin O Caulin meistert das Herausstellen von Details, die viele vielleicht übersehen hätten. Er kreiert eine düstere, mystische und einzigartige Stimmung auf seinen Fotos und ist ein Liebhaber der Analogfotografie, der er gern treu bleibt und dabei gezielt zu Bildbearbeitung Abstand nimmt. Wenn man auf seinem Profil unterwegs ist, merkt man sehr schnell: Twin O Caulin weiß, wie man Bildausschnitte zur Geltung bringt, die den Betrachter/die Betrachterin fesseln. Man findet Makroaufnahmen, die kleine Naturphänomene reflektieren, neu interpretierte Architektur-Highlights und Details riesiger Gebäude, die mächtig und zugleich fein und vielseitig wirken. In Worten kann man die besonderen Stimmungsmuster seiner Fotos schwierig wiedergeben. Daher sind wir froh, dass Twin O Caulin bereit war, bei unserem Vorgestellt-Interview der fotocommunity Fotoschule mitzumachen und uns einige Interviewfragen zu beantworten! Lies‘ selbst und erfahre mehr über Twin O Caulin’s Fotografie.
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Mehr Infos zu den FotokursenDu beschreibst Dich in Deiner Info als „hoffnungslos retro“. Was denkst Du, hat zu Deiner Leidenschaft zur Analogfotografie beigetragen?
An der Analogfotografie fasziniert mich nach wie vor, dass sie die Kamera, die zu fotografierende Szene und mich als Fotografen in eine enge Dreiecksbeziehung bringt, die bei der Digitalfotografie verloren zu gehen droht. Analogfotografie involviert mich stärker, ich muss mich besser auf den Moment des Auslösens vorbereiten und das Ergebnis ist endgültiger, denn die Spielräume in der Dunkelkammer sind enger gesteckt als die Spielräume, die sich durch Nachbearbeitung in der Digitalfotografie ergeben. Abgesehen von all dem hat die Frage nach der Leidenschaft natürlich auch eine emotionale Dimension. Ich würde Vinyl auch immer einer CD vorziehen.
Nachträgliche Bildbearbeitung ist etwas, was du eher vermeidest. Wie gehst du sicher, dass du ein Foto aufnimmst, das Dir später gut gefällt?
Nicht nur vermeide ich die nachträgliche Bildbearbeitung, sondern ich ziehe sie erst gar nicht in Betracht. Bei der Analogfotografie sind viel Ausprobieren und eine genaue Kenntnis der Kamera und auch der Eigenschaften des verwendeten Filmmaterials nötig, damit das Ergebnis in etwa abschätzbar ist, wobei es gerade bei der Analogfotografie natürlich immer wieder Überraschungen in alle Richtungen geben kann. Bei der Digitalfotografie ist das zwar anders, zumal das Ergebnis direkt sichtbar ist. Doch kann man sich auch hier täuschen, vor allem bei hellem Tageslicht. Oft ist das vor Ort im Kameradisplay für gut befundene Ergebnis dann in häuslichem Licht nicht mehr so prickelnd. Überbelichtungen können da leicht passieren. Ich ahne manchmal im Vorfeld, ob mir ein Foto gefallen würde; mit Sicherheit weiß ich bloß, was mir nicht gefallen würde: nämlich die tausendste Panoramaversion eines Allerweltsmotivs.
Wie nutzt Du Dein „Available Light“? Was ist Dein „Lieblingslicht“ wenn es um gute Fotos geht?
Es gibt eher bestimmtes Licht, das ich nicht so gern mag. Hartes Tageslicht ist meiner Ansicht ein schwer zu bewältigendes Licht, das kann man leicht unterschätzen. Danach folgen Dunkelheit und Dämmerlicht. Ich habe eine große Vorliebe für Spuren von Lichtern, Restlicht, Lichtandeutungen – es ist sozusagen der glimmende Docht, der für mich mehr fotografisches Potenzial enthält als die brennende Kerze. Gerade aus der Dunkelheit lassen sich Licht und Farben besonders gut herausarbeiten.
Oft gerate ich im Hinblick auf die Lichtverhältnisse an die Grenzen der Möglichkeiten, die meine alte Kamera, eine über zehn Jahre alte Canon 7D, bietet. ISO 800 ist bei ihr im Farbmodus grenzwertig, also muss die Belichtungszeit verlängert werden. Da ich meistens ohne Stativ arbeite, gerät manches nächtliche Fotoshooting zu einer Körperbeherrschungsübung, doch auch diese sportlich-meditative Facette der Fotografie hat für mich einen Reiz. Langzeitbelichtungen mit der Digitalkamera mache ich nicht so gern, weil dann Nachbearbeitung allein schon wegen der Hotpixel unabdingbar wird.
Aus Deiner Arbeit und Deiner Info geht hervor, dass Du jemand bist der gerne Situationen einfängt, und das gewisse Etwas an ihnen festhalten will, ohne daran viel zu ändern oder im Nachhinein anzupassen. Wieso ist das so?
Nicht weniger als das Wesen der Fotografie steht im Zeichen digitaler Nachbearbeitungsmöglichkeiten meines Erachtens auf dem Spiel, und hier liegt auch begründet, weshalb ich Nachbearbeitungen kategorisch ablehne. Die mittlerweile nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der Bildmanipulation ermöglichen es, am PC ein „Foto“ entstehen zu lassen, das gar keine Ursprungsfotografie mehr benötigt. Gerade eine Lichtsituation oder eine Begebenheit, die mich beim Fotografieren in den Bann zieht, möchte ich doch an Ort und Stelle einfangen und fotografisch verwerten – nicht im Sinne eines Versuchs, diese Situation 1:1 abzubilden, sondern in dem Sinne, dass ich z. B. die Stimmung des Moments in eine Kunstform zu wandeln versuche. Die künstlerische Verfremdung geschieht schon im Moment des Auslösens – dadurch definiert sich ja Fotografie. Der Zeitraum zwischen Öffnung und Verschluss der Blende terminiert für mich den Beginn und das Ende des Schaffensprozesses. Insofern denke ich Fotografie sicherlich radikal.
Würde ich später Elemente im Bild austauschen, vielleicht einen Vogel hinzufügen oder einen Vollmond oder gar einen kompletten Himmel ersetzen, hätte ich dieses Schaffensprozess nicht nur torpediert, sondern nun stünden mir eigentlich Tür und Tor offen, diese Veränderung ad absurdum zu treiben – wo sind die Grenzen der Nachbearbeitung? Durch die jetzt verfügbaren intelligenten Bearbeitungsprogramme gibt es faktisch keine Grenzen mehr, die Veränderung kann umfassend geschehen. Wozu braucht man folglich die Kamera noch? Wenn ich aber diese Frage stellen kann, habe ich die Fotografie längst verlassen und bin bei einer ganz anderen Technik gelandet, die sicherlich auch ihre Daseinsberechtigung hat, aber von der Fotografie auch begrifflich unterschieden werden sollte. Wenn Fotografie am PC entstehen kann und dann immer noch Fotografie genannt werden darf, dann hat sie sich abgeschafft.
Welchen Tipp würdest Du einem Fotoanfänger/einer Fotoanfängerin geben, wenn es um die Schulung des Auges fürs Detail geht? Wie trainiert man einen gekonnten Blick für besondere Motive zu entwickeln?
Unsere Denk- und Sehgewohnheiten lassen uns Objekte oft in ihrer Ganzheit erfassen und betrachten. Dabei sind es oft gerade bestimmte Details, die eine intensivere Betrachtung lohnen. Anders herum: Ich finde, es ist das bewusste Weglassen von Bildinformationen, das zu einer Spannung führt und ein Bild für eine längere Betrachtung interessant macht. Den erst in dem Moment, da ich dem/der Betrachtenden Informationen vorenthalte, wird er/sie angeregt, sich mit dem Bild auseinanderzusetzen. Und genau in diesem Spannungsfeld zwischen Bild und Betrachter/-in entsteht ja die Faszination, die Fotografie auslösen kann – wenn sie eben nicht alles platt und plakativ präsentiert.
Ein weiterer Tipp wäre, sich vom Begriff des Motivs zu lösen und sich stattdessen mit Situationen oder Stimmungen fotografisch auseinanderzusetzen. Motive wollen präsentiert werden, und es ist schwierig, sie aus dieser eitlen Banalität zu befreien. Situationen und Stimmungen dagegen sind komplexer und fordern von der/dem Fotografierenden einen persönlichen, ganzheitlicheren Einsatz. Sie erfordern, dass man sich einfühlt und mit wachen Sinnen wirklich ganz „da“ ist.
Ich verbringe in der Regel immer eine gewisse Zeit an einem Ort, bevor ich dort das erste Foto mache, um ihn kennenzulernen. Solange mir die Atmosphäre eines Ortes fremd erscheint, gelingen mir meist keine guten Fotos von dort. Ich meine das in einem vollkommen unesoterischen Sinn. Es geht nicht um das Erfassen irgendwelcher „Energien“ oder „Schwingungen“. Sondern um das Erfassen von Details, um das bewusste und unbewusste Ausloten von Möglichkeiten, die ein Ort zu bieten hat. Das gilt meines Erachtens auch für Street-Fotografie, die oft langes Verharren am Ort erfordert, das mit etwas Glück (und einer Portion Geistesgegenwart) vielleicht einen wunderbaren Moment beschert.
Manche Deiner Fotos sind verzerrt oder verschwommen und weichen damit von anderen scharfen Fotos ab. Wie bekommst Du diesen „Effekt“ hin und wann erscheint er für Dich passend?
„Effekte“ als Selbstzweck und solche, die durch Software generiert werden, sprechen mich nicht an. Ich kann keinen Sinn darin sehen, ein Foto per Mausklick in ein „Aquarell“ zu verwandeln. Das Ergebnis eines solchen unkreativen Prozesses durch einen Algorithmus würde mich langweilen. Wenn ich es aber schaffe, ein aquarellartiges Bild mit rein fotografischen Mitteln hinzubekommen, zum Beispiel, indem ich durch eine regennasse Scheibe fotografiere und gleichzeitig mit Unschärfe experimentiere, finde ich das erfüllend. Mit Bewegungsunschärfe kann man bestimmte Stimmungen erzeugen, ebenso mit intendierten Kamerabewegungen oder mit bewusst gewählten Unschärfebereichen. Entscheidend dabei ist, sich mit den vielen Möglichkeiten der eigenen Kamera zu befassen, jegliche Automatik an der Kamera auszuschalten – auch den Autofokus – und ganz viel zu experimentieren.
Entwickelst Du Deine Fotos selbst, oder in externen Laboren?
Ich fotografiere in letzter Zeit aus Zeitgründen größtenteils digital. Es ist schon lange her, dass ich Schwarz-Weiß-Filme selber entwickelt habe. Meist habe ich zunächst einen Kontaktabzug gemacht, um einen groben Überblick über das Fotomaterial zu bekommen. Farbfilme habe ich in der Regel einem guten Labor übergeben.
Was sind Deiner Meinung nach Nachteile an der Analogfotografie, und wieso würdest Du sie dennoch niemals aufgeben?
Nachteile ergeben sich meiner Meinung nach ja nur im Rückblick, weil wir heute vom bequemeren Standpunkt der Digitalfotografie auf die Analogfotografie blicken und im Vergleich landen. Vor dreißig Jahren hätte diese Frage seltsam geklungen. Aber heute liegt die Antwort auf der Hand. Analogfotografie ist begrenzter in ihren Möglichkeiten und langfristig kostspieliger als das digitale Pendant. Doch, wie oben ausgeführt, ist sie für mich die authentischere, direktere Form der Fotografie mit einem nicht zu vernachlässigenden Schuss Emotionalität.
Wie erschaffst Du düstere Stimmung auf Deinen Fotos?
Entweder inhaltlich durch entsprechende Auswahl der fotografischen Situation und/oder durch entsprechende Belichtung, natürlich ohne Automatik. Das vorherrschende Licht spielt sicherlich eine große Rolle – es macht einen großen Unterschied, ob der Himmel (auch in der Dämmerung) bedeckt ist oder nicht. Den Weißabgleich bekommt die Kamera-Automatik in bescheideneren Lichtsituationen nicht zufriedenstellend hin, da muss ich also selber einstellen. Im Dämmerungslicht mal eben schnell ein Foto machen, das funktioniert nicht gut.
Inwiefern hilft Dir die fotocommunity dabei, Dich als Fotograf weiterzuentwickeln?
Ich habe einige sehr wertvolle Kontakte knüpfen können und schon ein paar interessante Projekte mit anderen Fotografierenden durchführen können, die ich ohne die fotocommunity nie kennengelernt hätte. Auf den Lob-Button könnte ich getrost verzichten, doch die Kommentarfunktion eröffnet Horizonte. Mir ist es nicht wichtig, ob jemand mein Foto als eines Lobes würdig erachtet; viel interessanter ist die Auseinandersetzung mit den Bildern, und da habe ich schon sehr viel mitnehmen können. Wenn jemand an einem Foto länger als ein paar Sekunden hängen bleibt und dann auch noch eine kleine Bildbesprechung liefert, ist das schon toll und ein Zeichen von Wertschätzung – bei der Flut von Bildern, die uns täglich umspült, ist das keine Selbstverständlichkeit.
Umgekehrt macht es mir genauso viel Freude, an exzellenter Fotografie zu verweilen. Dabei möchte ich noch anfügen, dass ich sie selten in der „Galerie der populären Fotos“, den Pop-Charts der fotocommunity, finde. Herausragende Fotografie ist niemals populär, sondern versteckt sich in der Masse der täglich hochgeladenen Bilder.
Hallo,
sehr guter Beitrag zu der Analogfotografie – vor allem in unserer schnelllebigen Zeit -Danke
Vor allem ein großes Lob an Euch zu dem ausgezeichneten deutsch,
z.Bsp. : in dem Beitrag von Twin O Caulin „wie man Bildausschnitte zur Geltung bringt, die den Betrachter/die Betrachterin fesseln“ – sehr fein – und nicht dieses sch… Gendern,
wo es heisen würde “ Betrachter:in“ einfach ekelhaft.
Macht weiter so und nochmal DANKE
Beste Grüße
Lothar