Die Fotografien von Judith Kuhn strahlen einen besonderen Zauber aus und schaffen eine spürbare Verbindung zwischen Betrachter und Natur. Ob stille, ruhige Seen, geheimnisvolle Nebelstimmungen, leuchtende Nachthimmel oder Tiere in ihrem natürlichen Lebensraum – unter dem Motto „Mach sichtbar, was ohne Dich nicht wahrgenommen worden wäre“ (Robert Bresson) hält sie einzigartige Momente fest.
Wir wollten mehr über Judiths kreative Prozesse erfahren und haben ihr im „Vorgestellt“-Interview der fotocommunity Fotoschule einige Fragen gestellt. Heute freuen wir uns, in ihre faszinierende Welt der Fotografie einzutauchen und ihre Werke näher kennenzulernen.
Einfach fotografieren lernen mit unseren Online-Fotokursen
Für nur 6,99€ im Monat kannst Du auf über 70 Online-Fotokurse zugreifen. Lerne die Grundlagen der Fotografie - verständlich und mit vielen Praxisbeispielen. Inklusive Test und Fotokurs-Zertifikat.
Mehr Infos zu den FotokursenWas bedeutet Fotografie für Dich auf einer persönlichen Ebene? Gibt es Momente oder Projekte, die für Dich besonders bedeutend waren?
Fotografie ist für mich eine Möglichkeit, vom Alltag abzuschalten und Ruhe zu finden. Wenn ich ein ansprechendes Motiv vor mir habe, dann konzentriere ich mich völlig auf die Auswahl des besten Standortes, den richtigen Ausschnitt, die passenden Kameraeinstellungen, den perfekten Moment und das beste Licht, so dass ich alles andere vergessen kann. Dabei erlebe ich immer wieder besondere Momente, zum Teil solche, die ich erwartet oder erhofft habe, zum anderen aber auch völlig unerwartete. Einen speziellen Schlüsselmoment gibt es allerdings nicht.
Was inspiriert Dich besonders an der Reise- und Naturfotografie? Gibt es bestimmte Landschaften oder Momente, die Dich immer wieder anziehen, oder suchst Du ständig nach neuen Orten und Eindrücken?
Meine Inspiration ist die Jagd nach unvergesslichen Augenblicken, nach besonderen Licht- und Wetterstimmungen. Mich zieht es immer wieder in die Alpen und in die Arktis. Diese rauen und urtümlichen Landschaften haben es mir besonders angetan. Zudem suche ich aber auch immer nach neuen Motiven, beispielsweise in den arabischen Sandwüsten. Außerdem fotografiere ich zwischendurch gerne Mal Architektur oder Stadtlandschaften.
Du betonst, dass das Licht die Stimmung in Deinen Bildern bestimmt. Wie gehst Du mit schwierigen Lichtverhältnissen in der Natur um, und welche Rolle spielt das natürliche Licht in Deinem kreativen Prozess?
Für mich spielt das natürliche Licht die wichtigste Rolle bei meinen Naturaufnahmen. Ich arbeite mit dem Licht, welches vor Ort herrscht und nutze keinen Blitz oder Reflektoren. Ich bin auch kein Fan davon, bei Nachtaufnahmen Objekte im Vordergrund mit einer Taschenlampe anzuleuchten. Schwierige Lichtverhältnisse gibt es eigentlich nur, wenn der Dynamikumfang in der Natur den der Kamera übersteigt. Dafür gibt es aber glücklicherweise die Möglichkeit, eine Belichtungsreihe zu machen und die entstandenen Aufnahmen anschließend zusammenzufügen.
Deine Reise begann mit einer analogen Kompaktkamera und führte Dich schließlich zu einer DSLR. Wie hat sich Dein fotografischer Stil und Deine Technik über die Jahre mit der Veränderung Deiner Ausrüstung entwickelt?
Die größte Veränderung war mit Sicherheit der Umstieg auf die digitale Technik. Man sieht das Ergebnis sofort und kann bei Misserfolgen unmittelbar Veränderungen an den Einstellungen vornehmen. Das bringt einen enormen Lerneffekt. Dann kann man mehr Bilder machen, da man nicht jedes mal die Entwicklung des Films bezahlen muss. Man kann also unter einer größeren Anzahl an Bildern das beste auswählen und die Wahrscheinlichkeit, dass man den besten Moment verpasst, wird geringer. Und vor allem kann man mit geringerem Aufwand ohne Dunkelkammer die Ergebnisse in der Nachbearbeitung beeinflussen.
Du hast Dir viele fotografische Kenntnisse autodidaktisch angeeignet. Welche Herausforderungen und Vorteile bringt dieser Ansatz mit sich? Gibt es bestimmte Lektionen oder Techniken, die Dir besonders wichtig geworden sind?
Ich glaube nicht, dass es generell Vor- oder Nachteile hat, wenn man sich fotografische Kenntnisse autodidaktisch aneignet. Jeder Mensch lernt anders. Für mich war es einfacher, mir erforderliche Kenntnisse in bestimmten Bereichen selber anzulesen, als mit mehreren anderen in irgendwelchen Seminaren zu sitzen, wo man in einem begrenzten Zeitraum ein gewisses Wissen eingetrichtert bekommt, von dem man evtl. nur einen Teil direkt danach nutzt und den Rest wieder vergisst. Wenn ich heute vor einem Problem in der Fotografie stehe, dann versuche ich, mithilfe des Internets eine Lösung zu finden, wobei mir schriftliche Tutorials lieber sind als ein Video. Wichtig war für mich, erstmal die Grundregeln der Fotografie wie beispielsweise Bildaufbau, Perspektive oder Zusammenspiel von Blende, Schärfentiefe und Belichtungszeit zu kennen. Später kann man dann für kreative Bilder gerne mal gegen die ein oder andere Regel verstoßen.
Dein Hintergrund liegt im Bereich der Architektur. Beeinflusst Dein Studium oder Deine Arbeit in der Architektur Deine Herangehensweise an die Fotografie? Gibt es Überschneidungen in Deinem Blick auf Formen, Strukturen und Perspektiven?
Ich glaube schon, dass meine Ausbildung zur Bauzeichnerin und Architektin meine Art zu sehen beeinflusst hat. Das kommt mir in der Fotografie natürlich zugute, wo man ein gutes Motiv ja auch zunächst entdecken muss. Auch im Hinblick auf die Bildkomposition sehe ich Vorteile.
Du betonst, dass Du keine aufwendig bearbeiteten Bilder oder Fotokunst produzierst. Welche Rolle spielt für Dich Authentizität in der Fotografie, und wie beeinflusst das Deine Entscheidung, auf Bildbearbeitungssoftware wie Photoshop zu verzichten?
Zunächst einmal: ich habe nie behauptet, gänzlich auf Bildbearbeitung und entsprechende Software zu verzichten. Vor allem, wenn man im raw-Format fotografiert, sind die Rohbilder meist flau, blass, flach – also recht kontrastarm und farbstichig. Eine Korrektur von Kontrast, Farbton, Farbtemperatur, Sättigung, Perspektive und gelegentlich des Ausschnitts ist zwingend erforderlich. Außerdem muss man immer mal wieder Belichtungsreihen zu HDR- Bildern zusammenfügen und Bilder entrauschen. Was ich aber ablehne: den Himmel austauschen, Elemente aus anderen Bildern (oder gar KI-generierte Objekte) einfügen oder störende Elemente (Zäune, Leitungen, Masten, Personen etc.) entfernen. Ein Bild, dass ich anderen präsentiere, hat auch für mich selber einen Erinnerungswert und das Erleben der Situation, die zum Bild geführt hat, ist mir sehr wichtig.
Wie findest Du die Balance zwischen der technischen Perfektion eines Bildes und dem emotionalen Ausdruck, den es transportieren soll?
Nur ein technisch einwandfreies Bild kann Emotionen transportieren. Ein unscharfes Bild oder einen grünstichigen Sonnenuntergang will niemand anschauen. Umgekehrt wird ein Bild, dass aufgrund der Motivwahl oder des Lichtes keine Emotionen transportieren kann, auch durch technische Perfektion nicht zu einem Hingucker. Daher gibt es da für mich keine Balance zu finden. Beides muss stimmen.
Du beschreibst Dich als sehr selbstkritisch, wenn es um die Auswahl und Präsentation Deiner Fotos geht. Kannst Du uns mehr darüber erzählen, wie Du entscheidest, welche Bilder es wert sind, veröffentlicht oder in Wettbewerbe eingereicht zu werden?
Das Bild sollte ausdrucksstark und originell sein. Es kann ein allgemein bekanntes Motiv zeigen, aber dann sollte es eine besondere Stimmung zeigen, die man so noch nicht oft gesehen hat. Allgemein zeige ich nicht gerne ein und dasselbe Motiv in unzählig vielen Variationen, doch lässt sich das über die Jahre nicht immer ganz vermeiden. Bei Wettbewerben verzichte ich aber auf solche Wiederholungen. Eine andere Version eines Bildes (gleiches Motiv, ähnlicher Ausschnitt, aber andere Stimmung) würde ich dann eventuell bei einem anderen Wettbewerb oder im nächsten Jahr einreichen.
Du sprichst über die Teilnahme an Fotowettbewerben und die Subjektivität in der Bewertung von Bildern. Wie gehst Du damit um, wenn ein Bild in einem Wettbewerb hoch bewertet wird, aber in einem anderen kaum Beachtung findet?
Das bringt mich immer wieder zum Schmunzeln, aber das ist völlig normal. Bei jedem Wettbewerb gibt es eine andere Jury, andere Menschen, andere Geschmäcker… Außerdem ist natürlich auch die Konkurrenz bei jedem Wettbewerb wieder eine andere.
Landschaftsmotive sind sehr beliebt, liegen sie doch quasi „vor der Haustür“ und sind in der Regel schnell und einfach zu erreichen. Hast Du einen Tipp für unsere Leser, der unabdingbar ist, wenn es darum geht aus einem guten ein perfektes Landschafts- oder Naturfoto zu machen?
Landschaftsmotive müssen nicht zwingend vor der Haustür liegen. Das ist immer abhängig von der Gegend, in der man lebt. Man kann Glück haben (oder den Wohnort ganz bewusst gewählt haben) und hat die Motive in unmittelbarer Nähe, man kann aber auch in einer Region wohnen, wo das nächste Landschaftsmotiv mit einer längeren Autofahrt verbunden ist. Viele meiner Landschaftsbilder entstehen in Island, was auch nicht gerade vor meiner Haustüre liegt.Der Unterschied zwischen einem guten und einem perfekten Landschaftsfoto liegt im „Wow-Effekt“ – irgendetwas, was das Bild von der Masse abhebt. Das kann ein Regenbogen über einer schönen Landschaft sein, oder etwas Ungewöhnliches wie herbstliche Farben mit Schnee.
Vielen Dank für das Interview und den Einblick in die Arbeit von Judith Kuhn. Ich bin immer wieder begeistert, wenn ich Fotos von Judith Kuhn in der fotocommunity sehe. Viele Grüße – Michael