RAWs perfekt entwickeln: Die Grenzen der RAW-Entwicklung

FavoriteLoadingAuf Deine Leseliste in Meine Fotoschule setzen

Thema im letzten Beitrag war der optimale Workflow einer RAW-Entwicklung. In diesem Beitrag geht es um die Grenzen und die Frage, welchen Preis man für optimale Schärfe zahlt. Wo liegt der beste Kompromiss?

Dieser Artikel stammt aus dem ColorFoto-Magazin 02-2018. Die Fotos in diesem Artikel stammen von Reinhard Merz.

Einfach fotografieren lernen mit unseren Online-Fotokursen

Für nur 6,99€ im Monat kannst Du auf über 70 Online-Fotokurse zugreifen. Lerne die Grundlagen der Fotografie - verständlich und mit vielen Praxisbeispielen. Inklusive Test und Fotokurs-Zertifikat.

Mehr Infos zu den Fotokursen
Einfach fotografieren lernen

Lesbare Etiketten und die Folgen

Testszene
Foto: Reinhard Merz

Zunächst haben wir die Schärfe optimiert, um das Etikett im linken Rechteck lesbar zu machen. Danach haben wir überprüft, welche Auswirkungen das auf Kanten und flächige Strukturen (mittleres Rechteck) hat. Für eine möglichst ausgewogene Darstellung eignet sich der Topf mit Sukkulenten (unteres Rechteck), wo glatte Flächen, Farbverläufe und Kanten sich in unmittelbarer Nachbarschaft befinden.

Die perfekte RAW-Entwicklung

Natürlich ist die perfekte RAW-Entwicklung stark vom Motiv abhängig – und letztlich auch Geschmackssache. Da sind sich alle einig. Danach trennen sich die Meinungen schnell.

Wir zeigen deswegen hier anhand von drei Kameras unterschiedliche Lösungen mit verschiedenen Schwerpunkten.

Im ersten Schritt schaut Reinhard Merz, was er aus dem Rohmaterial maximal herausholen kann. Im zweiten Schritt geht es dann um eine ausgewogene Abstimmung, die Rauschen, Auflösung, Feinzeichnung und einen natürlichen Bildeindruck berücksichtigt.

Insgesamt sind die Differenzen zwischen den NEF der Nikon D750, den CR2 der Canon EOS 5D Mark IV und den ARW der Sony Alpha 9 eher moderat. Was generell auffällt: Bei Außenszenen mit Licht satt sind auch Aufnahmen mit ISO 1600 qualitativ sehr gut, der Unterschied zu ISO 100 ist moderat.

Für die Praxis heißt das: Wo ohnehin viel Licht ist, kann man den ISO-Spielraum gut nutzen, etwa für sehr kurze Verschlusszeiten bei Action-Aufnahmen.

Bei unserer Innenraum-Szene sind die Unterschiede dagegen wesentlich deutlicher. Bei wenig Licht macht es natürlich trotzdem Sinn, im Zweifelsfall eher die Empfindlichkeit hochzudrehen statt in Verwacklungsunschärfen zu laufen.

Man sollte sich allerdings darüber im Klaren sein, welchen Preis man dafür zahlt. Wir haben deswegen dieses deutlich komplexere Motiv zur besseren Darstellung für den Beitrag ausgesucht.

Gnadenlose Schärfe

Wie haben wir das Bild optimiert? Während wir für die Grundeinstellungen das Histogramm und den Gesamteindruck zurate zogen, wie im vorherigen Beitrag beschrieben, ging es anschließend in die Detailarbeit.

Wie lässt sich das Potenzial des Vollformats wirklich ausreizen?

Um dieser Frage nachzugehen, haben wir die rechte Flasche im Regal links vom Türrahmen im 2:1-Modus zunächst bei ISO 100 begutachtet und mit den Menüs Präsenz und Details auf die Lesbarkeit des Etiketts hin optimiert.

Zu beantworten war die Frage, ob der Name der Bodega (Fernández de Arcaya) und der Jahrgang (1995) lesbar dargestellt werden können. Zur Erinnerung: Die Fläche dieses Etiketts beträgt gerade einmal etwa 0,2 Promille des Vollbildes – wir reden also tatsächlich von einem winzigen Detail.

Danach mussten zwei Beobachter, die das Original nicht kannten, versuchen, die Schrift zu entziffern.

Anschließend wurden die gleichen Einstellungen auf die ISO-1600-Aufnahme übertragen und im zweiten Schritt für diese Empfindlichkeit optimiert. Dabei haben wir auch die Blätter am linken oberen Ende der Pflanzenwand unter die Lupe genommen.

Dort treten bei überzogenem Schärfen gut sichtbar helle Säume auf, die den Bildeindruck ruinieren. Im richtigen Leben gilt es natürlich, diese zu vermeiden.

Nikon D750

Das ISO-100-NEF der Nikon D750 meistert die Schärfe-Aufgabe locker. Mit der entsprechenden Schärfung (Betrag >100) sind sowohl „Arcaya“ als auch „1995“ zweifelsfrei lesbar, eine leichte Reduktion des Farbrauschens rundet die Einstellung ab.

Klont man die Einstellung auf ISO 1600, springt einen die Pixelwüste förmlich an. Die Erfahrung sagt, dass es Buchstaben sein müssen, die da auf dem Etikett prangen, lesbar ist nichts. Mit einer Rücknahme des Betrags bei gleichzeitiger Erhöhung der Schärfen-Werte für Details und Maskieren sowie der Rauschreduzierungs-Werte für Luminanz und Farbe wirkt das Bild ausgeglichener, das Etikett bleibt aber unlesbar.

Canon EOS 5D Mark IV

Die ISO-100-CR2 der Canon 5D Mk IV sind schon bei weit geringerer Schärfung (<80) am Schärfe-Optimum angekommen, hinken allerdings hinter denen von Nikon einen Tick hinterher.

Während der in größerer Type gehaltene Name „Arcaya“ noch gut lesbar ist, bleiben beim Jahrgang Zweifel. Bei ISO 1600 verkehrt sich das dann ins Gegenteil. Schon die von ISO 100 übernommene Einstellung wirkt ausgewogen und bei leicht weniger schärfen und sehr dezenter Rauschreduzierung lässt sich sogar bei ISO 1600 zumindest erahnen, was auf dem Etikett steht.

Sony Alpha 9

Die Alpha 9 schließlich liegt nahe bei der Nikon, aber in allen Enden noch etwas ausgeprägter. Nirgendwo war die Etiketten-Schrift in unserem Setting besser lesbar als bei den 100-ISO- Sony-ARWs.

Im Vergleich zu den Nikon-NEFs sind dazu deutlich höhere Werte bei der Maskierung erforderlich. Nutzt man die gleichen Werte bei ISO 1600, ist das Bild arg zerfressen, schräge Linien werden zu Treppen.

Mit starker Rücknahme des Schärfens und moderater Anhebung der Reduzierung des Luminanz- und Farbrauschens kann das Bild deutlich Boden gut machen, an Lesbarkeit auf dem Etikett ist aber trotzdem nicht zu denken.

Schärfe ungleich gutes Bild

Diese Bilder zeigen sehr gut, wie weit sich die Detailschärfe eines Bildes tatsächlich verbessern lässt. Wenn man sich dann aber andere Bildteile anschaut, wie die Blätter am Rand der grünen Wand, sind die Konsequenzen brutal.

Denn zu viel Schärfe zerstört andere Bereiche des Bildes gnadenlos. Schlecht eingestellte Kameras bekommen Ähnliches hin. Wer also nicht nur kriminalistisch sein Bild erkunden will, muss einen anderen Ansatz wählen.

Für eine möglichst ausgewogene Darstellung auf dem Bildschirm eignet sich der Topf mit den Sukkulenten in der unteren Bildhälfte.

Hier liegen glatte Flächen, Farbverläufe und Kanten in unmittelbarer Nachbarschaft beieinander. Wenn man es schafft, diesen Bildteil möglichst gut darzustellen, ist das gesamte Bild im nahe am Optimum.

Optimiert: CR-2-RAWs der Canon

Die CR-2-RAWs der Canon benötigen auch hier vergleichsweise wenig Anpassung. Farbrauschen ist kaum zu erkennen, entsprechend wenig muss entrauscht werden. Letztlich sorgen ein moderates Schärfen um die 30 und eine Luminanz Rauschreduzierung um etwa 25 für den besten Gesamteindruck.

Canon optimiertes RAW
Die optimierte Version des RAWs von Canon

Optimiert: NEFs der Nikon

Ähnlich verhalten sich die Nikon-NEFs. Sie brauchen mehr Schärfe (Wert nahe 40), kommen aber auch mit moderater Rauschreduzierung aus.

RAWs von Nikon
Die optimierte Version des RAWs von Nikon

Optimiert: ARWs der Sony

Die ARWs der Sony benötigen den gleichen Tacken mehr Schärfe als die NEFs und zudem mehr Rauschreduzierung, sowohl bei Farbe als auch bei der Luminanz. Dafür wird das Ergebnis noch einen Hauch plastischer, was sich vor allem in den dunkleren Bereichen der Blätter zeigt.

RAWs von Sony
Die optimierte Version des RAWs von Sony

Wofür ist das Bild?

Diese Beispiele zeigen, wie sich die einzelnen Faktoren bei der RAW-Entwicklung gegenseitig beeinflussen und dass man letztlich immer irgendeinen Tod sterben muss. Gut ist es im Vorfeld zu wissen, wofür das Bild letztendlich verwendet werden soll.

Denn nicht jedes Rauschen, das bei 1:1-Ansicht auf dem Bildschirm stört, ist auch später im Druck erkennbar, und unser kleines Etikett ist in einem A4 großen Fotobuch ohnehin nicht lesbar – auf einem A1-Ausdruck dagegen schon.

Selektive Werkzeuge

Feintuning ist also letztlich immer ein Balanceakt zwischen Schärfen (mehr Rauschen, feinere Details) und Glättung (weniger Rauschen, Detailverlust). Und die verschiedenen Bildteile benötigen oft unterschiedliche Einstellungen. Für den letzten Optimierungsschritt kommen deshalb die selektiven Werkzeuge von Lightroom zum Einsatz.

feintuning
Feintuning – Die selektiven Werkzeuge sind gemeinsam mit dem Freistellungswerkzeug unter dem Histogramm zu finden.

Der Verlaufsfilter, der Radialfilter und der Korrekturpinsel erlauben Korrekturen an ausgewählten Bildteilen:

Sie befinden sich zusammen mit dem Freistellwerkzeug und den Werkzeugen zur Bereichsreparatur und zum Entfernen von Roten Augen unter dem Histogramm.

Diese drei Werkzeuge erzeugen Masken, die sich in ihrer Form unterscheiden.

werkzeugpalette
Verlaufsfilter, Radialfilter und Korrekturpinsel bieten eine ähnliche Palette an Korrekturmöglichkeiten.

Der Verlaufsfilter

Beim Verlaufsfilter nimmt die Wirkung von der Anfangslinie zur Endlinie linear ab, er eignet sich zum Beispiel um bei einer Landschaftsaufnahme den Himmel unabhängig vom Vordergrund anzupassen.

Der Radialfilter

Beim Radialfilter ist die Maske rund, und er dient zur Korrektur von kleineren runden oder ovalen Strukturen.

Der Korrekturpinsel

Beim Korrekturpinsel schließlich lassen sich freie Formen auftragen.

Die Korrekturmaske

Die erzeugte Korrekturmaske kann zum besseren Arbeiten ein- und ausgeblendet werden. Dabei kann man zwischen den Maskenfarben Rot, Grün, Weiß und Blau umschalten, um die Maske bei jedem Bildhintergrund gut zu erkennen.

Verlaufsfilter, Radialfilter und Korrekturpinsel bieten eine ähnliche Palette an Korrekturen mit vielen Werkzeugen aus den Grundeinstellungen, die dann nur im ausgewählten Bildbereich ausgeführt werden.

Unter dem Menü für die drei Werkzeuge kann man die einzelnen Effekte feintunen und die entsprechenden Einstellungen auch speichern. Mit dem Regler Betrag lässt sich dabei der Gesamteffekt der Maske verstärken oder abschwächen, ohne dass man dazu die einzelnen Regler nachjustieren muss – immer dann von Vorteil, wenn man zum Anpassen an mehreren Reglern gleichzeitig gearbeitet hat.

effektsteuerung
Effektsteuerung – Der Effekt der selektiven Werkzeuge kann über ein Klappmenü exakt gesteuert werden.

Die selektiven Werkzeuge kommen bei mir immer dann zum Einsatz, wenn ich ähnliche Bilder habe, die in gleicher Weise bearbeitet werden sollen. Man könnte noch vieles mehr in Lightroom machen – etwa störende Bildelemente entfernen, aus Einzelbildern HDR-Aufnahmen erstellen oder Bilder in Schwarzweiß konvertieren.

Für all das ist Lightroom ein großartiges Werkzeug. Ich erledige das dann aber lieber in Photoshop, letztlich ist das eine Frage der Gewohnheit.

Fazit

In diesem Beitrag habe ich Dir die Möglichkeiten und die Grenzen des RAW-Prozesses gezeigt. Zusätzlich bin ich der Frage nachgegangen, welchen Preis man für die optimale Schärfe zahlt.

Weitere Tipps für die Fotopraxis, Tests der aktuellen Kameramodelle und alle Neuheiten und Trends in der Fotobranche erhältst Du im monatlichen ColorFoto-Magazin.

Autor: Reinhard Merz

1 Kommentar

  1. Dieser Artikel hat mir viele Tips gegeben, wie man es noch machen kann. Nun weiß ich aber leider
    nicht warum das ändern von weiß und schwarz nicht erwähnt wurde. Gerade an solchen kritischen
    Punkten, wie zum Beispiel dem Etikett der Weinfflasche habe ich es oft geschafft das Optimum
    heraus zu holen. Trotzdem ist das natürlich kein Zaubermittel zumal man ja oft noch andere Bereiche
    damit berührt.

Wie gefällt Dir dieser Lerninhalt?

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Teile diesen Link mit einem Freund