Offenblende – ein systematischer Vergleich aus der Praxis

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In Zusammenarbeit mit SIGMA

Offenblende und ihre Wirkung auf die Schärfentiefe ist immer wieder das Thema der Fotoschule. Insbesondere im Bereich der Porträtfotografie und bei schwachem Licht kommt der Offenblende eine besondere Bedeutung zu. Im ersten Fall wegen der gern gesehenen Unschärfefreistellung, im zweiten Fall, weil die durch eine große Offenblende mögliche Lichtstärke Verschlusszeiten erlaubt, die auch bei wenig Licht noch eine freihändige Fotografie erlauben.

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Um die – in meinen Augen – teils drastischen Unterschiede zu zeigen, habe ich mir zwei Objektive gesucht, die man durchaus als extrem lichtstark bezeichnen kann. Ich arbeite hier mit dem Sigma 105mm F1.4 DG HSM | ART (von Sigma selbst als „Bokeh-Meister“ bezeichnet – aus meiner Sicht übrigens zu Recht) und dem Sigma 135mm F1.8 DG HSM | ART (135 mm an Kleinbildformat ist meine persönliche Lieblingsbrennweite für Porträts).

Das Sigma 105mm F1.4 DG HSM | ART ist ein echtes Schwergewicht und kommt daher – ungewöhnlich für diese Brennweite – gleich mit einer Stativschelle und einer Streulichtblende aus Metall. Der Filterdurchmesser von 105 mm ist sehr groß, aber irgendwoher muss die Lichtstärke ja auch kommen. Ich habe selten ein wertigeres Objektiv in der Hand gehabt.

 

Das Sigma 135mm F1.8 DG HSM | ART ist merkbar kompakter, aber nicht weniger wertig verarbeitet. Die Streulichtblende ist aus Kunststoff, eine Stativschelle ist nicht dabei, lässt sich auch nicht montieren, sie ist aufgrund der geringeren Gewichts aber auch obsolet.

Schärfentiefe ist subjektiv

Wenn Du ein bisschen recherchierst, wirst Du im Internet eine ganze Reihe frei verfügbarer Werkzeuge bzw. Onlinerechner finden, mit deren Hilfe Du abhängig von Sensorgröße, Pixelzahl, Brennweite und Blende die Schärfentiefe berechnen kannst. Wer sich etwas intensiver mit der Materie beschäftigt, wird feststellen, dass es sich dabei aber eher um eine wissenschaftlich-physikalische Rechnung handelt und weniger um eine visuelle Bewertung. Diese Tools liefern Dir einen Trend, mit dem Du relative Unterschiede bewerten kannst, aber keine absoluten Unterschiede. Keines dieser Werkzeuge berücksichtigt nämlich Deine persönliche Wahrnehmung der Schärfe.

Ebenso fehlt die Bewertung der Ausgabegröße und des Ausgabemediums. Was ist damit gemeint?

Vielleicht ist Dir schon einmal folgendes aufgefallen: Du betrachtest ein gerade aufgenommenes Foto auf dem Monitor der Kamera. Dort erscheint es Dir scharf. Dann nutzt Du die Lupe und untersuchst kritische Bereiche. Du denkst, das Foto ist in Ordnung.

Zuhause am Monitor folgt dann die Ernüchterung: In der großen Bildschirmansicht am heimischen Monitor ist das Foto unscharf. In kleinerer Ausgabegröße (z.B. ausgedruckt auf 10 x 15 cm) sieht es wiederum völlig gut aus.

Den gleichen Effekt wirst Du auch bei der Schärfentiefe feststellen. Es gibt keinen objektiven Maßstab, der eine exakt definierte Grenze festlegt, wo der Bereich der Schärfentiefe beginnt oder endet. Auch hier gilt neben dem subjektiven Empfinden auch die Ausgabegröße als wesentliches Kriterium. Auf dem Monitor der Kamera wird die Schärfentiefe immer deutlich größer wirken, als auf dem 27″-Monitor.

Ein Vergleich zur Schärfentiefe

Um Dir trotzdem ein Gefühl für die nutzbare Schärfentiefe zu geben, habe ich mit beiden Objektiven einige Vergleichsreihen aufgenommen und stelle sie hier gegenüber. Ich habe dabei immer dasselbe Motiv ausgewählt in unterschiedlichen Ansichten und Abständen und dabei die Brennweite gewechselt (zwischen 105 mm und 135 mm – an KB, bei APS-C wären die Ergebnisse ähnlich, aber aufgrund der notwendigen größeren Abstände die Perspektive etwas anders und die Schärfentiefe um ca. einen Blendenwert größer).

In der linken Reihe findest Du Aufnahmen, die mit dem 105 mm gemacht wurden. In der Mitte wurden die Aufnahmen mit 135 mm gemacht (gleicher Abstand zu links), in der rechten Reihe habe ich wieder mit 105 mm genommen, den Abstand aber so verringert, dass das Porträt in etwa den selben Bildausschnitt ausfüllt, wie bei der mittleren Reihe. Ich habe in ganzen Blenden gearbeitet, mit Ausnahme f/1,8, um auch dem 135 mm Gelegenheit zu geben, die Blende maximal zu öffnen.

Kleiner Tipp vor dem Betrachten: Schau Dir erst alle Fotos in klein an, also so, wie sie hier im Artikel verlinkt sind. Achte darauf, was auf Dich scharf wirkt und was unscharf scheint.

Wenn Du nun die Fotos in der Vergrößerung anschaust, wirst Du feststellen, dass die Schärfentiefe deutlich geringer ist, als es in den kleinen Thumbnails erscheint. Bei den Aufnahmen mit Offenblende ist die Schärfentiefe sogar so gering, dass sogar die Spitzen der Wimpern in eine kleine Unschärfe geraten. Erst ab etwa f/5,6 ist das ganze Gesicht scharf, allerdings werden auch Details im Hintergrund deutlich sichtbar. Hier erkennst Du schön den Unterschied, der sich zwischen einer wirklich starken Festbrennweite und einem Zoom ergibt, der in dem Bereich meist erst bei f/4 oder f/5,6 (selten f/2,8) beginnt.

Kleiner Effekt nebenbei: Vergleiche auch einmal die mittlere und die rechte Reihe. Das Gesicht ist ungefähr gleich groß. Rechts ist aber mehr Hintergrund zu sehen und das Gesicht wirkt etwas schmaler. Dieser Effekt kommt dadurch zustande, dass der Abstand verändert wurde und damit auch die Perspektive.

Ein kleiner Blick von der Seite

Bisher habe ich die Porträts in diesem Vergleich immer nahezu frontal aufgenommen. Natürlich musst Du dort bei Offenblende auch schon präzise arbeiten (fokussieren immer nur über das Einzelfeld auf dem Auge).

Durch die seitliche Ausrichtung des Gesichts wird bei Offenblende tatsächlich nur ein Teil des vorderen Auges scharf, das hintere Auge ist komplett unscharf. Erst ab f/5,6 sind beide Augen, also das ganze Gesicht, scharf. Gut zu beobachten sind auch hier wieder die Veränderungen, die sich durch die Perspektive ergeben.Die Blende f/2 und größer (offener) bügelt den nicht besonders attraktiven Hintergrund komplett weg, während er bei f/5,6 schon unangenehm wirkt.
Bei Dreiviertelporträts eignet sich die Offenblende sehr gut, um über die selektive Schärfe Details zu betonen.

Fazit

Eine Offenblende im Bereich f/1,4 bis f/2 entfaltet ihre kreative Wirkung besonders im Bereich der etwas längeren Brennweiten: Cremige Bokehs und tolle Unschärfefreistellung sind möglich, die Du mit Zoomobjektiven nicht erreichen kannst. Die Lichtstärke bietet zudem deutliche Vorteile, wenn Du gerne mit „Available Light“ arbeitest.

Die Anschaffung ist sicher nicht günstig, hält sich aber im Rahmen und Du solltest dabei auch bedenken: Solche Objektive halten bei guter Behandlung ein Fotografenleben lang.

17 Kommentare

  1. Guten Abend, bin ich der Einzige auf der Welt, der absolut Alles dransetzt, eine Schärfentiefe von vorn bis hinten zu erreichen!? Wenn ich eine Person vor Objekt X ablichte, will ich das Objekt auch scharf haben. Uwe

    1. Aus künstlerischer Sicht heben unscharfe Bereiche das zentrale, wichtige Objekt eher hervor. Wenn alles gleich scharf erscheint, wird der Ausdruck leicht langweilig und platt.

  2. Bei den Bilderreihen ist mir aufgefallen, dass die mit dem 135er alle kürzer belichtet sind und deshalb auch etwas dunkler erscheinen. Man sieht es besonders am Hintergrund. Gab es dafür einen Grund?

    1. Ich habe mit Zeitautomatik und Matrix-/Mehrfeldmessung belichtet. Die Unterschiede betragen in etwa 1/3 Lichtwert (EV oder Blendenstufe). Dieser Unterschied kann allein schon dadurch zustande kommen, dass bei 135 mm die helle Gesichtsfläche ein wenig größer ist (prozentual um Gesamtbild).

      1. Hallo Martin,
        Die Unterschiede in der Belichtung sind mir auch aufgefallen und ich fand auch keine Erklärung dafür; aber die hast du jetzt nachgeliefert. Um es höflich und nachsichtig zu formulieren: Sie wären wohl vermeidbar bzw. auch hinterher korrigierbar gewesen. Du bist schließlich ein Profi!

        1. Um höflich zu antworten:

          warum genau hätte ich das tun sollen? 1/3 Blende Unterschied in der Belichtung ist wirklich nichts, was irgendjemand irgendwelche Sorgen bereiten sollte.

          Zudem ging es in diesem Artikel nicht um das Thema: Wie kann ich präziser belichten, als es nötig ist, sondern um Brennweiten, Schärfentiefe und Offenblende.

    1. Ja, auch alte lichtstarke Objektive machen Spaß, ich habe einige davon. Allerdings kenne ich kein altes 100/1,4 ;). Und wenn es das gäbe, wäre es auch nicht günstiger. Für die alten und sehr guten lichtstarken Festbrennweiten, werden inzwischen ordentliche Preise aufgerufen, wenn ma sie denn überhaupt bekommt.

      Und sobald das Motiv sich auch nur ein bisschen bewegt wird es mit den alten Linsen ziemlich schwierig.

  3. Na ja, wie bei vielen DIngen ist auch hier vieles Geschmacksache. Für mich z.B. liegt die Herausforderung darin, so zu fotografieren, dass ich später im Lightroom nur noch helle und dunkle Partien leicht nachziehen muss und auf irgendwelche „Fälschungen“ der Aufnahme verzichten kann.
    Mein „Heilig’s Linsle“ (Liebligsobjektiv ;-)) ) ist das Canon EF 70-200 mm 1:2,8 L IS II USM, ein wahrlich schwerer Brocken.

    1. Ups, da war die Antwort weg, bevor sie fertig war :-D
      Der „schwere Brocken“ hat mich vom ersten Moment an mit seine Bildquaität beeindruckt. Und die große Offenblene hat schlicht den großen Vorteil, dass man im Sucher auch bei wenig Licht noch vergleichsweise viel sieht. außer, man bevorzugt hier den aktuellen Mirrorless-Trend, nicht durchs Objektiv zu schauen, sondern auf ein schon in der Kamera bearbeitetes Sucherbild. Auch das: reine Geschmackssache.

  4. Trotzdem nutze ich gerne die Offenblende 2.8, sie ist bei ungünstigen Licht die bessere Variante. Die Schärfentiefe nimmt mit Entfernung und Blende 2.8 zu!

  5. Sehr guter Artikel mit fundierten Ausführungen zu dem Thema, zu dem ich mir folgende Anmerkungen gestatte:
    Sich lichtstarke Objektive anzuschaffen, die gleichzeitig teuer, schwer und voluminös sind, allein um bei offener Blende die meisten Teile eines Bildes in (gekonnter?) Unschärfe verschwimmen zu lassen, ist wohl ein Hype, ähnlich wie HDR, Langzeitaufnahmen von Wasserfällen und die, aus meiner Sicht, total überschätze Bedeutung der Unschärfekreise eines Objektivs ( Bokeh).
    Alles hat eine Berechtigung, wenn so eine neue gestalterische Dimension erreicht wird aber eben auch nur dann und nicht als normale Herangehensweise. Ich persönlich nehme mir absolut jede Freiheit Fotos so zu verfremden, dass Ähnlichkeiten mit dem abgelichteten Objekt manchmal nur noch erahnt werden können, wenn die Bildaussage hinterher meinen Vorstellungen entspricht! Dazu gehören auch Unschärfen.
    Ich gebe aber zu bedenken:
    Unsere normale Betrachtungsweise z.B. einer Landschaft erfolgt, indem wir zwar nur in einem eng begrenzten Winkel (ca. 5°) scharf sehen können aber weil wir die Landschaft mit den Augen abscannen, wissen wir, dass alles grundsätzlich scharf ist. Und ich kann jedes Teil scharf sehen, indem ich auf dieses Bildteil fokussiere. Bei einem Foto ist das anders, weil ein unscharf abgebildetes Bildelement unscharf bleibt.
    Auch die gegenständlich malenden Künstler der vergangenen Jahrhunderte haben Bilder gemalt, die von vorn bis hinten scharf waren. Kein Maler, jedenfalls ist mir keiner bekannt, hat bewusst Bildteile in Unschärfe verschwimmen lassen, um eine Konzentration auf die wichtigen Elemente des Bildes zu erreichen.
    Die optischen Gesetze, denen wir beim Fotografieren unterliegen, erlauben grundsätzlich keine Schärfe von vorn bis hinten. Wir müssen damit leben, dass Fotografien von Objekten mit großer Tiefenausdehnung (z. B. Landschaften) in Teilen unscharf sind. Diese Unschärfe ist zwar unvermeidlich aber eigentlich unerwünscht bzw. unnatürlich, weil sie im Gegensatz zur eigenen optischen Wahrnehmung während der Aufnahme steht.
    Aber die Unschärfe kann durchaus ein Gestaltungsmittel sein. Aber wenn, wie in einmal in einem Video dargestellt fand, die Augen eines Models scharf aber die Wimpernspitzen schon unscharf sind, weil radikal mit offener Blende fotografiert wurde, dann wurde die vermeintlich kunstvolle Gestaltung durch schlechtes Handwerk ruiniert.
    Mir erschließt sich auch nicht, warum ich schon bei der Aufnahme Schärfe verschenken soll.
    Unscharfe Bereiche im Bild, sind (fast) unwiderbringlich unscharf aber scharf abgebildete Bereiche, die ich im Bild aus Gestaltungsgründen lieber unscharf oder weniger scharf hätte, sind mit den Mitteln der heutigen Bildverarbeitung mühelos unscharf zu kriegen.
    Aus meiner Sicht und Erfahrung sollte man sich also gut überlegen ob sich der große finanzielle Aufwand für teure, lichtstarke Objektive dafür lohnt; ob es sich lohnt einige Kilos mehr zu schleppen, wenn der gewünschte Effekt auch anders erreicht werden kann.

    1. Danke für Deinen sehr ausführlichen und sachlichen Kommentar. Wie Dir sicher nicht entgangen ist, geht es mir nicht um Wertung, sondern um Weitergabe von Wissen und Information. echte „Tests“ überlasse ich den Fachzeitschriften. Fakt ist: Es mögen viele Menschen diese Unschärfe, also berichte ich darüber. Ich beherrsche auch Photoshop und Co, es macht mir aber einfach keinen Spaß, daher arbeite ich selbst gern mit solchen Festbrennweiten.

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