Retro-Look: Wechsel­objektive von Voigtländer

FavoriteLoadingAuf Deine Leseliste in Meine Fotoschule setzen

Vintage ist voll im Trend – nicht nur bei Kameras. Voigtländer bietet Wechsel­ objektive mit prominenter Geschichte als Neuauflage an; manuelle Schätze, die nicht für maximale Auflösung, sondern für einen speziellen Look gerechnet sind: Es geht um Glas, Metall und den Nimbus des klassischen Bildermachens. Maximilian Weinzierl hat mit drei Voigtländer-Optiken an der modernen Sony A1 gearbeitet.

Voigtländer Classic-Objektive

Retro ist angesagt, und ich begebe mich gern auf Zeitreise in eine Epoche, in der Autofokus und Blen­denautomatik noch unbekannt und Fotografieren vor allem eine hand­ werkliche Kunst war. Heliar (vom alt­ griechischen Helios für Sonne) und Nokton (vom lateinischen nox, noctis für Nacht) sind Bezeichnungen für Objektivtypen aus der analogen Foto­ zeit des letzten Jahrhunderts. Damals trugen die wertvollen Objektive noch blumige Namen.

Einfach fotografieren lernen mit unseren Online-Fotokursen

Für nur 6,99€ im Monat kannst Du auf über 70 Online-Fotokurse zugreifen. Lerne die Grundlagen der Fotografie - verständlich und mit vielen Praxisbeispielen. Inklusive Test und Fotokurs-Zertifikat.

Mehr Infos zu den Fotokursen
Einfach fotografieren lernen

 

Sony A1 | ISO400 | F1,5 | 1/125s | LED-Beleuchtung

Rauschgold. Die Kontraste und Licht­reflexionen im Goldbrokat wirken in Schwarzweiß besonders edel. Weich­ gezeichnet bei Offenblende mit dem 1,5/50 mm Heliar Classic VM. Fotogra­ fiert habe ich mit der Kameraeinstellung „Kreativer Look BW“. Wegen der manu­ ellen Scharfstellung (punktuelle Schärfe bei Offenblende) musste das Model wie in der Frühzeit der Modefotografie re­ gungslos in seiner Pose verharren, Schnellschüsse in Bewegung sind nicht möglich. Scharfstellung auf die Augen. Das Foto wurde nachträglich in Photo­ shop sepiabraun eingefärbt, um den Vintage­Charakter stärker zu betonen.

Objektive mit Charakter

Alle Objektivkonstruktionen verursach­ten ihre speziellen Abbildungsfehler respektive Eigenheiten wie allgemeine Unschärfen, Punktlosigkeit, Bildfeld­wölbung, Farbsäume, Koma etc. Eine vollständige optische Korrektur war damals noch nicht möglich. Das war dann der individuelle Look des jeweiligen Objektivs. Kenner können sogar aus dem Schmelz, dem Bokeh oder dem Blendenstern in einer Vergrößerung auf das verwendete Objektiv schließen.

1

Klassik und Moderne. Voigtländer 1,5/50 mm Heliar Classic VM an der Sony A1. Alle im Beitrag gezeigten Fotos (außer den Produktabbildungen) sind mit dem jeweils in der Bildunter­ schrift genannten Objektiv in Kombination mit dem Voigtlän­ der­Adapter VM­E Typ II an der Sony A1 entstanden.

GerätVoigtländer
1,5/50mm Heliar Classic VM
FormatKB
Linsen/Gruppen6/3
Naheinstellgrenze0,5 m
Bildwinkel45,9°
Filterdurchmesser49 mm
Fokussierungmanuell
Bildstabilisator
Durchmesser x Länge, Gewicht56,8 x 41,9 mm, 255 g
AnschlüsseLeica M (VM)
Preis699 Euro

 

Donauufer in Regensburg. Die Gegenlichtaufnahme zeigt die Zehn-Strahlen-Sterne des 2,8/40 mm Heliar (siehe Ausschnitt). Mit Blende 5,6 bis 8 erzielt man eine durchgehende Schärfentiefe, die Allgemeinschärfe reicht dann bis an den Bildrand. Der Fünflinser eignet sich abgeblendet als universelles Immer-drauf-Objektiv.

Für die aktuelle Retrowelle in der Fotografie hat Voigtländer manuelle Objektive in seinem Portfolio: vom extremen Weitwinkelobjektiv bis zur Porträtbrennweite. Die Voigtländer-Classic-Objektive sind ausschließlich Festbrennweiten. Es handelt sich um hochpräzise und sehr belastbare Werkzeuge aus Glas und Metall, kleiner und unauffälliger als die modernen Autofokusobjektive, in die Motoren für die Blenden- und Entfernungseinstellung untergebracht wer- den müssen. Manuelle Objektive für eine entschleunigte Fotografie, das be- deutet: Blende und Entfernung selbst einstellen, mit dem haptischen Erlebnis der kühlen Metallobjektivmechanik, mit Einrast-Einstellringen und butter- weichem Schneckengang ohne jegliches Spiel. Diese Entschleunigung kommt der überlegten Bildkomposition zugute. Ich habe hier mit drei Voigtländer-VM-Bajonettobjektiven mit gemäßigten Brennweiten an der Sony A1 gearbeitet (6).

GerätVoigtländer
2,8/40 mm Heliar asphärisch VM.
FormatKB
Linsen/Gruppen5/3
Naheinstellgrenze0,7 m
Bildwinkel57°
Filterdurchmesserv34 mm
Fokussierungmanuell
Bildstabilisator
Durchmesser x Länge, Gewicht52 x 21,2 mm, 131 g
AnschlüsseLeica M (VM), Leica M39
Preis549 Euro

Heliar Classic 1.5/50 mm

Das Voigtländer 1,5/50 mm Heliar Classic VM (1) ist ein lichtstarkes Normalobjektiv mit ausgeprägtem Nostalgiecharme. Die ursprünglichen Abbildungsfehler hat Voigtländer ab­ sichtlich belassen, und die Linsen sind nur mit einer Einschichtvergütung ver­sehen. Die deutlichen Aberrationen bei Offenblende sind ein beabsichtigtes Stilmittel. Malerische Unschärfe und Weichheit machen das Objektiv zur idealen Porträtoptik für dem besonde­ren Look. Bei den beiden Modeauf­nahmen habe ich es mit Offenblende bei seitlich einfallendem Licht eines LED­Panels eingesetzt. Das Objektiv schmeichelt den Porträtierten, da es störende Details wie Poren und Fält­chen fast gänzlich wegzaubert. Beim Abblenden auf Arbeitsblende 4 bis 5,6 verschwinden die Aberrationen größ­tenteils, und das Objektiv bildet weit­ gehend verzeichnungsfrei ab. Es kann dann als vollwertiges Normalobjektiv eingesetzt werden. Die Naheinstell­ grenze des Heliar 1.5/50 mm beträgt 50 cm, statt 70 cm wie bei den beiden anderen Objektiven.

Sony A1 | ISO100 | F2,8 | 1/640s

Basketball Spielfeld. Fläche, Farbe und Struktur als Motiv: Der Fallschutzboden, aufgenommen mit dem Voigtländer 2,8/40 mm Heliar asphärisch VM. Hier bei weit geöffneter Blende zeigen sich in den Bildecken deutliche Abschattungen, und die Schärfe nimmt zum Rand hin ab – vor allem in den Bildecken. Typisch Vintage-Look! Sollten diese Artefakte den Bildeindruck stören, lassen sich sich mit Abblenden auf Blende 5,6 vermeiden. Bei Bedarf ist die Vignettierung beim Entwickeln der RAW-Datei im Konverter ganz leicht in den Griff zu bekommen (rechts).

Heliar 2,8/40 mm

Das Voigtländer 2,8/40 mm Heliar asphärischVM (2) erzeugt einen liebens­würdigen Retro­Look im traditionellen Heliar­Design. Doch das sind nur Äußerlichkeiten! Innerlich ist es eine optische Neurechnung auf moderne­rem Stand der Technik. Das Objektiv ist in Schwarz und Silber erhältlich, mit zwei unterschiedlichen Anschlüssen: mit VM­Bajonett und mit M39­Schraubgewinde. Es ist in mehr­facher Hinsicht ganz außergewöhnlich.

Zum einen ist es das kleinste Objektiv, das ich je an eine Vollformatkamera montiert habe. Ultrakompakt ist dieses Objektivchen, völlig unaufdringlich, es ragt nur minimal über den Handgriff der Sony A1 hinaus, und die Vollfor- matkamera (!) kann damit sogar in der Jackentasche verschwinden; immer da- bei und diskret. Außerdem sitzt an dem 40-mm-Heliar ein Scharfstellring der in Unendlichstellung einrastet und da- mit mechanisch verriegelt ist (4). Ge- löst wird er mit einem Druck auf den gefederten Kopf. Mit fixierter Entfernungseinstellung und auf Blende 11 oder 16 abgeblendet, ergibt sich eine Art Fixfokus-Einstellung für Landschaftsaufnahmen, sodass die Kamera dann jederzeit ohne weitere Entfernungseinstellung schussbereit ist.

Ein Kuriosum ist die Blendenskala, die sich mit dem Scharfstellring mitdreht. Aus diesem Grund ist die Skala zwei- mal im Blendenring eingraviert (5). Der gewählte Blendenwert kann somit – trotz Verdrehung – auf der Oberseite abgelesen werden. Die zehn Blendenlamellen erzeugen im Gegenlicht den typischen zehnstrahligen Stern (3). Nach Abblenden erreicht das fünflinsige Objektiv, das mit einer asphärischen Linse ausgestattet ist, eine gute Schärfe, sogar bis in den Randbereich der Aufnahme.

Volle Sonne. Hier habe ich mit der S.C.-Version (single coated) des Voigtländer 1,4/35 mm Nokton VM II direkt in die Sonne fotografiert und die entstehenden Artefakte (Reflexe) als Stilmittel eingesetzt. Mit Ab- blendung nimmt die Prägnanz der Strahlen zu.

 

7) Normalobjektiv: 50mm ist eine der beliebtesten Brennweiten – hier zu sehen in Kobination mit modernster Kameratechnik.
GerätVoigtländer
1,4/35mm Nokton VM II SC.
FormatKB
Linsen/Gruppen8/6
Naheinstellgrenze0,7 m
Bildwinkel63°
Filterdurchmesser43 mm
Fokussierungmanuell
Bildstabilisator
Durchmesser x Länge, Gewicht55 x 28,5 mm, 189 g
AnschlüsseLeica M (VM)
Preis649 Euro

Nokton Classic 1,4/35 mm

35 mm Brennweite sind beliebt für die Reportage, Landschafts- und Streetfotografie. Bekannt ist dieses Objektiv für sein typisch weiches Bokeh. Rein äußerlich ist die Neuauflage gleich geblieben, das optische Design wurde jedoch neu gerechnet, und die Glas- linsen sind vergütet. Das Voigtländer 1,4/35 mm Nokton VM II (7) ist in zwei Ausführungen erhältlich: in der Version M.C. (multi coated) für neutrale Farbwiedergabe und als S.C.-Version (single coated) mit Einschichtvergütung für eine eher klassische Farbanmutung.

Sony A1 | ISO100 | F1,4 | 1/32000s

Lichtkringel am See. Lichtgemälde mit dem Voigtländer 1,4/35 mm Nokton VM II SC. Voll aufgeblendet, habe ich hier die flirrenden Sonnenreflexe auf der Wasseroberfläche des Sees abgebildet. Sie sind extrem hell, daraus resultiert die sehr kurze Belichtungszeit. Die Offenblende und die Unschärfe verursachen die Bildcharakteristik mit dem typischen weichen Bokeh, für das dieses Objektiv bekannt ist. Mit der nur ein- fachen Linsenvergütung entsteht der klassisch anmutende Farbcharakter mit deutlich sichtbaren Aberra- tionen (grüne Farbränder). Stimmung pur mit extrem kurzer Belichtungszeit.

Mit Anfangsblende 1,4 ist das gemäßigte Weitwinkelobjektiv lichtstark, aber trotzdem leicht und kurz. Beim Ab- blenden verlieren sich auch hier die Aberrationen. Ein gutes Allround-Objektiv im typischen Leica-M-Style (8). Das manuelle Voigtländer-Objektivsortiment mit Leica-M-Anschluss umfasst insgesamt 25 Objektive im Brennweitenbereich von 10 mm Weitwinkel bis zum 90-mm-Porträtobjektiv. Die an Messsucherkameras gängigen Brennweiten 21mm, 35mm, 40mm und 50mm werden in unterschiedlichen Ausführungen und Lichtstärken angeboten, die 35-mm-Brennweite zum Beispiel in sieben Ausführungen von Lichtstärke 1,2 bis Lichtstärke 2,5. Jeder Retro-Fotograf, der wieder mit manuellen Objektiven arbeiten möch- te, sollte bei dieser Auswahl sein opti- males Werkzeug für sich finden können.

8) Leica M Style: Für eine Streulichtblende hat das Nok- ton Classic 1,4/35 neben dem Schraub- einen Bayonettanschluss für Streulicht- blenden mit Schlitzen (zur Verwendung auf Messsucherkameras). Der rote Punkt und die Griffmulde am Scharfstellring erinnern stark an die originalen Leica-M- Objektive.

Fazit

In einer Zeit, in der Fotos rasiermesserscharf und dank Op­ timierung mithilfe von Künstlicher Intelligenz hyperrealistisch perfekt sind und beiläufig geknipste Bilder zur kurzlebigen Massenware ver­kommen, sehnen sich Fotografen – und ebenso die Betrachter – wie­ der nach dem individuellen Bild mit technisch eigenwilligen Kanten
und Macken zurück. Fotografieren im Retro-Style ist angesagt, bei mir zumindest teilweise. Beispiele dafür sind die Fotos in diesem Bei­trag, für die ich die klassischen Voigtländer­Objektive mit modernster Sony-A1-Kameratechnik kombiniert habe. Auf der filmbasierten Leica-M-Analogkamera machen die Classic-Objektive aber eine genau­
so gute Figur. Festbrennweitenobjektive mit Charakter liefern Fotos mit Charakter.

Die Elektronisierung hat die Objektive immer voluminöser werden lassen, denn man brauchte Platz für mehr und bessere Linsen, für Motoren, für Blendensteuerung, Autofokus und Bildstabilisator. Classic-Objektive brauchen nur Metall und Glas und sind deshalb kleiner, diskreter, unbedarfter. Ich mag ihre konstruktionsbedingten Eigenheiten. Sie sind ideal, um künstlerische Bilder, Porträts, Landschaftsfotos und Modeaufnahmen zu produzieren, die sich von der Masse abheben. Auf der Suche nach dem Besonderen wird das nicht ganz so Perfekte zum Hingucker. Mein Lieblingsklas­ siker: das ultrakompakte 2,8/40 mm Heliar, das kaum über den Sony-A1-Body hinausragt.

Wie gefällt Dir dieser Lerninhalt?

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Teile diesen Link mit einem Freund