Mythos „Out of the box“

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In Zusammenarbeit mit SIGMA
Der Begriff „Out of the box“ wird in der Fotografie gern verwendet, um damit Fotos zu bezeichnen, die direkt aus der Kamera kommen und danach nicht mehr bearbeitet werden. Dieses Thema ist ein heißes Eisen, in Foren wird heftig darüber diskutiert und es bilden sich verhärtete Fronten. Es gibt Fotografen, die behaupten nur „Out of the box“-Fotos wären überhaupt richtige Fotos. Andere unterziehen die Aufnahmen aus der Kamera noch einem aufwendigen Prozess der Nachbearbeitung. Bei den nachfolgenden Betrachtungen lassen wir mal außer Acht, dass die Einstellungen an der Kamera bezüglich Weißabgleich, Kontrast und Bildstil natürlich auch schon Bearbeitungen sind, die sich technisch absolut nicht von der Bearbeitung am PC unterscheiden. An einem klassischen Beispiel möchten wir Euch das Thema näher bringen. Vielleicht findet Ihr ja Eure eigene Philosophie in den Argumenten?

Was bedeutet eigentlich „Out of the box“?
Im Grunde geht es um die vermeintliche Tatsache, dass ein Foto durch den Fotografen und sein Können mit der Kamera entstehen soll. Also im Kern nicht durch Optionen in der Kamera, wie es bereits viele Kameras intern anbieten, oder durch Effekte und Schieberegler in einer Software.

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Historie
In der analogen Zeit waren die Manipulationsmöglichkeiten sehr begrenzt. Es gab verschiedene Filme und in Universallaboren nur geringe Wahlmöglichkeiten Abzüge zu gestalten. Alles hing vom Moment des Auslösens ab. Der Fotograf war gezwungen alle Effekte manuell zu setzen. Ein Produktfoto konnte so schon zu einer ganz täglichen Geduldsprobe werden. Ich persönlich erinnere mich noch an so manche Nacht, in der mit Filterfolie und Pappen ein simples Sektglas auszuleuchten war. Mit Polaroids wurde dann immer wieder der Aufbau kontrolliert und mit dem Kunden abgesprochen. Und dann musste auch das Objekt selber in einem Top-Zustand sein. Kein Fusel, kein Fingerabdruck oder gar Verfärbungen durch ungleiche Blitzfarben durften zu sehen sein.

Die größte Herausforderung mit „Out of the box“-Fotografie ergab sich bei einem Shooting für einen Eiscreme-Hersteller. In einem Team haben wir damals eine dieser Eistafeln für Kioske fotografiert. Leider schmilzt Eis und so war das Shooting auch eine Wochenaufgabe und ein recht aufwendiges Unterfangen – von den zusätzlich angefutterten Kilos an unseren Hüften mal ganz abgesehen. Mit den heutigen Bildbearbeitungsmöglichkeiten wäre ein solches Shooting deutlich leichter umzusetzen

Beispiel aus der Produktfotografie
Ich möchte Euch mit einem Beispiel die Gratwanderung zwischen Retusche, Manipulation und „Out of the box“ näher bringen. Das nachfolgende Produktfoto sieht banal aus. Aber in der Banalität steckt meist die größte Herausforderung. Dieser Lastengurt ist zum Beispiel nicht ohne Klebung und anderen Mitteln sauber auszulegen. Wenn aber der Kunde das Muster wieder haben möchte, oder es sich um Vorproduktionsmuster handelt, ist hier bereits das Optimum erreicht. Der Haken hätte sogar bei einem echtem „Out of the box“-Shoot geschliffen werden müssen. Um eine perfekte Schattenzeichnung zu erzeugen, hätte ich sicher zwei Stunden Licht gesetzt. Der gewünschte Freistellungseffekt, also rundherum das Motiv ins Weiß auslaufen lassen, hätte ich aufwendig ausblitzen müssen. Wobei der Hintergrund natürlich gänzlich ohne Flecken hätte sein müssen. Alles Dinge, die in der analogen Zeit gemacht werden mussten. Heute sind diese Dinge in der Bildbearbeitung ein Klacks. Nachfolgende Reihe von Bildern zeigt Euch, warum und in welchem Umfang man manches mal Bilder retuschieren muss.

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Das Produktfoto „Out of the box“ mit Markierungen, die zwingend, da vom Kunden gewünscht, retuschiert werden müssen. Eigentlich ist das Foto bereits „Out of the box“ nutzbar, dennoch ist das Optimum, oder besser gesagt die Kundenerwartung nicht erreicht.
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Hier zunächst die Originalaufnahme in ACR (Adobe Camera RAW) geöffnet. Die Aufnahme ist etwas überbelichtet, um die Rotzeichnung später besser manipulieren zu können. Rot läuft gerne zu (Clipping) und mit der Überbelichtung ist eine bessere Zeichnung in der Bildbearbeitung noch viel zu holen.
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Hier seht Ihr die erste große Manipulation: Der Beschnitt. In der Philosophie der klassischen „Out of the box“-Fotografie ist hier schon viel Diskussionspotential. In der Presse wird Beschnitt sogar schon als inhaltliche Manipulation bezeichnet.
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Als erstes haben wir hier die Kamerakalibrierung „Vivid“ ausgewählt. Kunden mögen es häufig bunt und kontrastreich. Dies hätte auch mit der Auswahl eines analogen Film bewerkstelligt werden können.
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Objektiv-Korrekturen gehören fast schon zum guten Ton. Besonders da ich hier aus praktischen Erwägungen ein Zoomobjektiv genutzt habe.
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Das Wichtigste an der Objektiv-Korrektur ist allerdings das Vermeiden von Aberrationen oder besser dessen Abschwächung durch einen Algorithmus.
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Rauschen ist bei Packshots (Produktfotos) im Grunde kein Thema. Geringste ISO auswählen und die Belichtungszeit kann egal sein. Hier aber entrollte sich das Band immer ein wenig. Ergo musste ich die Belichtungszeit etwas kappen. Ein wenig Rauchreduzierung per Software wirkt dem Rauschen entgegen. Auch hier ist im Grunde noch keine Manipulation zu sehen. All dies hätte noch analog „Out of the box“ funktioniert.
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Auch der Schritt der Anpassung der Gradation ist nicht wirklich eine Bearbeitung, aber bereits hier trennen sich die Lager extrem. Ich habe früher selbst in der Dunkelkammer Bildteile durch bestimmte Tricks kontrastreicher gezogen. So empfinde ich auch die Software Variante nicht als manipulativ.
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Hier geht es dann schon deutlich manipulativer zur Sache. Um Zeichnung und Kontrast zu erhöhen, sind die Basis-Einstellungen hervorragend nutzbar. Auch hier gibt es im Grunde nichts, was „früher“ nicht machbar gewesen wäre.
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Hier seht Ihr die zusätzlich gemachten Korrekturen in Photoshop die wirklich als Retusche bezeichnet werden können. Der Gurt wurde per Maske freigestellt, der Originalschatten wurde verworfen und durch einen einfachen ersetzt, die Rundheit des Gurtes wurde durch „Verflüssigen“ optimiert, Das Metall leicht entfärbt und durch umgekehrtes „Unscharf maskieren“ wurde der Knack im Bild gesamt erhöht.

Das fertige Bild

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Notwendige „Out of the box“-Fotografie
Es gibt keinen Richter, keine Gesetzgebung und auch keine Jury für Fotografie. Einzig in der Forensik ist ein vermeintliches „Out of the box“ nicht nur dienlich, sondern zwingend. Spezielle Kameras bieten dort auch gesperrte RAW-Formate, die nicht manipulierbar sind. Natürlich kann hier ein JPG-Abzug manipuliert werden, aber gerichtsverwertbar sind nur die geschützten RAW-Daten.

Kreative Bearbeitung
Es kann aber auch Fotos geben, die keine andere Wahl lassen, als sich vom „Out of the box“-Mythos zu verabschieden. Hier war alles bereits im Originalfoto gemacht worden. Dennoch ergab sich nicht der gewünschte Bildeindruck. Der wurde dann durch massive Bildbearbeitung erzielt.

Original
Original
Mit Effekt
Mit Effekt

 

Natürlich gab es auch schon in der analogen Fotografie den Prozess der Alterung. Dieser funktioniert aber in der digitalen Fotografie nicht, ein digitales Foto altert nicht, die Farben verblassen nicht. Und wer hat schon Lust und Zeit ein Foto zu belichten und 10 Jahre auf die Fensterbank zu legen, bis es gewünscht gealtert ist, wenn es doch in der Bildbearbeitung genauer und besser geht.

Mittels Auswahl der Fotopapiere, des Entwicklers, der Temperatur der Papierbäder und eventuell beigefügter Toner wurden analog die Bilder ebenso manipuliert, wie es heute in der Bildbearbeitung passiert.

Bevor Ihr Euch also Gedanken macht, ob „Out of the box“ für Euch ein Thema ist, sollte Ihr Euch vielmehr Gedanken machen, was Ihr denn mit den Fotos erreichen wollt. Nachfolgend ein Beispiel, wo am PC nur kleine Optimierungen gemacht wurden, die aber trotzdem eine deutliche Wirkung erzielen. Ziel der Aufnahme: Sie sollten gefallen, dem Modell und dem Fotografen. Nicht mehr und nicht weniger. Insofern war hier keinerlei Ehrgeiz und keine Notwendigkeit vorhanden „Out of the box“ zu arbeiten. Findet Ihr die Unterschiede?

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Vorher
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Nachher

In zwei Bereichen der Fotografie wird dagegen sehr viel Wert auf Authentizität gelegt: In der Pressefotografie und in der Naturfotografie. In der Pressfotografie möchte der Fotograf etwas zeigen oder illustrieren (einen Text), in dem er am Ort des Geschehens den Moment abbildet und zum Leser der Zeitung transportiert. Der Leser legt dabei wert auf Wahrheit und nicht auf Schönheit. Aufgedeckte Manipulation führt nicht selten zu einer „Ächtung“ des Fotografen und schadet ihm beruflich.

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Füße abgeschnitten, Hand abgeschnitten, in der Menschen- (Mode-)fotografie wäre so ein Foto damit wertlos, für die Presse zählt: Ball ist da und der Gesichtsausdruck passt, es wurde gedruckt. Nachträglich den Ball ins Bild retuschieren hätte als unfein gegolten (in diesem Fall war er zum Glück da)

 

In der Naturfotografie sieht es etwas anders aus. Es gibt – abgesehen von Forschern, die rein zum Zwecke der Dokumentation arbeiten – eigentlich keinen Grund sich zu „out of the box“ zu zwingen. Doch gilt es unter echten „Wildlifefotografen“ schon als verpönt auch nur einen störenden Grashalm aus dem Bild zu entfernen. Sogar das Abknicken eines störenden Astes oder einiger Blätter gilt schon als unethischer Eingriff in die Natur.

Der Grund dürfte hier eher in persönlichen Motiven liegen, die Leistung liegt nicht mehr unbedingt in dem besonders toll gestalteten Motiv, die Leistung liegt in Mühe und Geduld, die der Wildlifefotograf hat aufbringen müssen, um das Tier in der natürlichen Umgebung perfekt zu fotografieren, ohne es angelockt zu haben und ohne die Umgebung vor oder nach der Aufnahme zu manipulieren – eine Notwendigkeit so zu handeln besteht jedoch nicht.

Aus Sicht des Naturfotografen: Natürlich hätte man so ein Foto aus der Distanz machen und dann ausschneiden können, die Leistung lag darin, sich dem Tier soweit zu nähern, dass dieses Möwenportrait mit allen feinen Details entstand, ohne dass der Vogel sich gestört fühlte
Aus Sicht des Naturfotografen: Natürlich hätte man so ein Foto aus der Distanz machen und dann ausschneiden können, die Leistung lag darin, sich dem Tier soweit zu nähern, dass dieses Möwenporträt mit allen feinen Details entstand, ohne dass der Vogel sich gestört fühlte

2 Kommentare

  1. Ich sage meinen Fotoexkursionsteilnehmern immer, dass Nachbearbeitung zwingend ist, wenn man wirklich gute Fotos haben möchte. Beispielsweise produzieren die meisten Kameras einen Magenta-Stich, der sich im Herbstlaub und eher grau-braunen Fußwegen unangenehm bemerkbar machen kann. Außerdem belichte ich meine Bilder bei großen Helligkeitsunterschieden immer unter, damit die Lichter nicht überstrahlen. Hinterher müssen dann natürlich die Tiefen und z.T. auch die Mitten angehoben werden. Der Dynamikumfang, den das menschliche Auge (und das verarbeitende Gehirn) wahrnehmen kann, bleibt Kamerasensoren verschlossen. Für mich zählt nur das Endergebnis.
    Eine kleine Anekdote zu einem „Puristen“: Vor 10 Jahren führte ich Norbert Rosing, der damals an einem Buch über die Küsten des Nordens arbeitete, zu einigen schönen Orten am Ufer der Schlei. An einer Stelle lag ein Ruderboot im Schilf, das ihn störte. Ich sagte zu ihm, dass er es doch nachträglich einfach wegretouchieren könnte. Da wäre mir der Maestro fast mit dem nackten Hintern ins Gesicht gesprungen. Er bekam sein Motiv ohne Boot aber dennoch: Es war Vatertag, und ganz in der Nähe feierten einige Männer feuchtfröhlich ihren Tag. Die bat er, das Ruderboot einige Meter wegzutragen, was sie auch bereitwillig machten. Manipulation der anderen Art!

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